Mit einem Klicken öffnete sich die Tür. Jonas stieß sie auf und tastete nach dem Lichtschalter. Als dieser auch nach wiederholtem Drücken kein Licht anspringen liess, begann er zu fluchen. Wie oft fiel die verdammte Sicherung noch heraus? Allmählich hatte er genug. Morgen würde er die Verwaltung anrufen. Er ließ seinen Rucksack von den Schultern gleiten und schloss die Tür. Als er sich dem Raum zuwandte, meinte er ein Funkeln am Fenster zu vernehmen. Aber als er genauer hinsah, entdeckte er nichts verdächtiges. Vorsichtig tastete er sich zum Sicherungskasten vor. Mit dem Handy beleuchtete er die Reihe von Schaltern. Komisch die Sicherungen schienen alle noch drin zu sein.

Ein Ploppen ertönte in seinem Rücken, als würde man einen Saugnapf lösen. Jonas wirbelte herum und leuchtete mit dem Handy in die Richtung, wo sich ein grosser Ohrensessel befand.

Er starrte direkt in den Lauf einer Pistole. Adrenalin schoss durch seinen Körper, gleichzeitig konnte er sich jedoch keinen Millimeter bewegen. Sein Herz raste, bis sein Gehirn das von den Augen gelieferte Bild analysierte und meldete, dass hier etwas nicht stimmen konnte. Die Pistole schwebte nämlich im Nichts. Zögernd machte Jonas einen Schritt darauf zu. «Komm näher und ich werde schiessen», erklang eine unbekannte Stimme vom Sessel her.

«Wer ist da?», fragte Jonas zitternd.

«Dein zukünftiger Herr und Meister.»

«Mein was?» Allmählich war Jonas davon überzeugt, dass ihm ein Streich gespielt wurde.

Er liess den Lichtstrahl seines Handys weiterwandern. Nun erkannte er, dass die Pistole von einem rostbraunen Tentakel hochgehalten wurde. Smithy, Jonas’ Haus-Oktopus, starrte ihn mit seinen rechteckigen Pupillen an.

Ein Lacher entwischte der Lippe des jungen Mannes. Als ob jemand einen Damm durchgebrochen hätte, folgten mehr. Bald stand Jonas vornübergebeugt da, die Hände um den Bauch geschlungen, hysterisch lachend.

«Das war absolut nicht ironisch gemeint», erklärte Smithy säuerlich, ließ aber die Pistole sinken.

Die Stimme des Oktopus ernüchterte Jonas ein wenig. Auch wenn die Situation absurd war, so änderte dies nicht die Tatsache, dass er den Oktopus sah und dessen Stimme hörte. Hatte ihm jemand eine Pille in das Feierabendbier geschmuggelt? Er brauchte Klarheit.

Mit zwei Sätzen war er beim Sessel und grabschte nach einem Tentakel. Seine Finger stießen eindeutig auf Widerstand.

«Tu das noch einmal und ich erschieße dich wirklich!», knurrte Smithy. Ein Tentakel schnellte vor, wickelte sich um Jonas’ Hals und zog ihn hinunter, sodass sie beide auf Augenhöhe waren.

«Warum willst du mich eigentlich erschießen?», würgte der junge Mann hervor.

«Das will ich ja gar nicht! Ich brauche dich als meinen Sklaven.»

Jonas entschied sich seinen Widerstand aufzugeben und mitzumachen. Er verspürte allmählich nicht mehr Angst, sondern Neugierde.

«Wozu brauchst du einen Sklaven?»

«Na, um unsere Weltherrschaft zu zementieren.»

«Unsere? Es gibt noch mehr sprechende Oktopusse?»

«Manchmal frage ich mich echt, warum ihr Menschen es mit eurer Zivilisation so weit geschafft habt. Natürlich gibt es noch mehr von uns! Ansonsten würde es ja keinen Sinn machen, dass wir die Weltherrschaft anstreben. Alleine würde ich nicht weit kommen.»

«Das ist wohl war. Aber warum habt ihr bis jetzt gewartet?»

«Keine Ahnung. Das hat die Führung so entschieden. Wir sind ja schon eine Weile hier und gegen das Ende hin, haben sich einige wirklich nicht mehr Mühe gegeben. Oder denkst du Cthulhu sieht so aus, weil Lovecraft eine so blühende Fantasie hatte? Im Jahr 2017, als Oktopus-City entdeckt wurde, dachte ich, dass unsere Stunde endlich gekommen ist. Die Story machte zwar eine mediale Runde, aber noch immer habt ihr Sapiens eins und eins nicht zusammengezählt. Eure harten Knochenschädel schränken wohl euer Denkvermögen ein.»

Jonas stutzte. Er konnte sich an den Bericht erinnern, denn dieser war der Auslöser gewesen, dass er sich ein Oktopus als Haustier beschafft hatte.

«Und wie kommt es, dass du hier bei mir bist und nicht im Ozean, in Oktopus-City zum Beispiel?»

«Ich bin ein Schläfer und war im sogenannten Deep-Cover. Wir ehemaligen Sklaven sind die ersten, die uns offen zeigen. Es liegt an uns, das Machtgleichgewicht zu verschieben.»

«Wow cool. Aber Moment, warum sprichst du eigentlich immer von Sklaven.»

«Na weil ich dein Sklave war. Ihr Menschen versklavt doch jede Spezies.»

«Du warst doch nicht mein Sklave», entrüstete sich Jonas.

«Hast du nicht für mich bezahlt?»

«Nun, ja.»

«Und mich hier festgehalten?»

 «Hätte ich gewusst, dass du denken und sprechen kannst, hätte ich dich freigelassen!»

«Natürlich kann ich sprechen und denken! Aber Hunde bellen auch und werden bei der Polizei eingesetzt. Trotzdem hält ihr sie in Zwinger und an Leinen – wie Sklaven.»

Daraufhin wusste Jonas nicht was er sagen sollte. Smithy hatte seinen Hals wieder freigegeben und so sank er ermattet neben dem Stuhl zu Boden.

«Was habt ihr mit der Welt und uns Menschen vor?»

«Na, zuerst müssen wir das Chaos, das ihr in den letzten zweitausend Jahren angerichtet habt wieder gutmachen.»

«Also werdet ihr uns auslöschen.»

«Was? So kann auch wirklich nur ein Mensch denken, du Knochenschädel. Ich sagte doch, ich brauche dich als Sklaven. Ich glaube, die Führung will als erstes gleiche Rechte für alle durchsetzen. Es wird Repopulationsprogramme für gefährdete Spezies geben und natürlich müssen wir den ganzen Müll beseitigen, den ihr da so fleissig produziert habt.»

«Das klingt alles sehr vernünftig. Aber was macht ihr mit den Menschen, die nicht kooperieren?»

«Ging es nach mir: Sushi. Aber die Führung hat den Vorschlag leider abgelehnt. Ich glaube ihr Plan ist es, die Menschen in eine virtuelle Welt zu verfrachten, wo sie glücklich sind und ihre Triebe ausleben können. Dort können sie dann keinen echten Schaden mehr anrichten. Du hast also eine Wahl, Jonas. Willst du mit uns die Welt retten oder lieber in der Matrix leben?»

Jonas lächelte. «Weißt du was, den Menschen würd ein so ehrgeiziges Vorhaben nie gelingen. Aber euch … warum nicht!»

«Gut. Dann willkommen an Board.»

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Inspiration: Link zu Oktopuc-City