Heute Abend gibt es wieder einmal ein ganzes Poulet. Das ist billiger als Einzelteile zu kaufen und landete schon lange nicht mehr auf dem Tisch. Da ich noch Zeit habe, bereite ich rasch eine Marinade vor und bepinsle das gute Bio-Stück, damit die Marinade den ganzen Tag einwirken kann.

Mein Mami hat früher Fleisch zum Auftauen in den Schrank getan. Ich hatte das gleich gehandhabt, aber das letzte Mal hat mich mein Schatzi ein wenig seltsam angeschaut, als er rohes Fleisch im Schrank vorgefunden hat. Man könne es doch in den Backofen tun. Also schiebe ich das Huhn in den Ofen, schliesse ab und gehe aus dem Haus. An der Bushaltestelle fährt mir der Bus vor der Nase ab. Egal, ich hab’s ja nicht eilig. Also krame ich mein Handy aus der Tasche, um die Wartererei zu überbrücken. Der schwarze Bildschirm entsperrt per Fingerabdruck und da lächelt mir das Rezept für die Poulet-Marinade entgegen. Als Titelbild hat das Rezept ein schön braungebranntes Huhn, sodass mir das Wasser im Mund zusammenläuft. Das braune Huhn erinnert mich daran, dass meines ja auch im Backofen ist. Aber ich hab den Backofen ja nicht angemacht. Ich habe es lediglich hineingeschoben.

Oder?

Ich schmunzle über meine Gedankengänge und steige in den Bus, der um die Ecke braust. Eine Weile widme ich mich meiner Schneestadt in Megapolis, doch meine Gedanken schweifen wieder zum Poulet. Ich hab den Ofen wirklich nicht angemacht oder? Im Geiste gehe ich die Bewegungsabläufe durch. Nein, der Ofen läuft nicht.

Wir fahren beim Klusplatz ein und alle Passagiere eilen zum Tram. Unschuldig steht es da, bis wir nur noch einen Schritt davon entfernt sind, dann fährt es ab. Im Gegensatz zu den anderen Leuten rege ich mich nicht auf. So bin ich nicht. Das ist verschwendete Energie. Stattdessen wandern meine Gedanken wieder zum Poulet zurück. Ob das ein Zeichen des Schicksals gewesen ist? Der Bus steht noch nebenan. Ich könne einfach wieder einsteigen, zurückfahren und kurz nachschauen. Doch nein. Mein Hirn spielt mir einen Streich. Ich habe keine Gedächtnislücke. Das Huhn ist zwar im Ofen, aber dieser läuft nicht. Bestimmt. So muss es sein. Ausser das war einer dieser Morgenautomatismen. Ihr wisst schon, manchmal ist man am Morgen so auf Autopilot, dass man Dinge tut, ohne wirklich darüber nachzudenken. Würde ich so etwas tun? Kann ich meiner Erinnerung trauen?

Das nächste Tram kommt und ich steige ein. Vielleicht lenkt mich das Buch ja ab, auch wenn es nur mässig gut ist. So stecke ich die Nase in die Seiten bis wir beim Central sind und ich aussteigen muss. Während ich über die Brücke Richtung Hauptbahnhof laufe, frage ich mich plötzlich ob es bei Wohnungsbränden auch Regress gibt. Wie handhaben das Versicherungen so? Und wie würde ich reagieren, wenn mir plötzlich jemand anruft und mir sagt, meine Wohnung sei abgebrannt? Wie kommen die überhaupt an meine Nummer ran? Keiner meiner Nachbarn hat sie. Nur die Verwaltung hat meine Kontaktdaten. Ich stelle mir vor, wie unamüsiert die Verwaltung wäre – berechtigerweise – wenn sie mir anrufen müssten, um zu sagen, dass die Wohnung abgebrennt sei. Inzwischen bin ich beim Pennerplätzli vis à vis des Coop Bahnhofbrücke angelangt. Was habe ich zu verlieren, was zu gewinnen, wenn ich zurückgehe, frage ich mich. Ein bisschen ÖV-Überschuss und ein wenig Zeit, aber es ist Ferienzeit und im Office sowieso nicht so viel los. Ich bleib stehen und starre in die Ferne. Eine junge Frau schaut mich an, lächelt. Vielleicht ahnt sie, dass ich mit mir ringe. Nur weiss sie wahrscheinlich nicht, dass es um ein Poulet geht.

Ich kehre um.

Nehme das Tram, dann den Bus und gehe zurück in meine Wohnung. Der Ofen läuft nicht. Das Poulet liegt glänzend im kalten Ofen. Ich nehme es raus und decke es mit Klarsichtfolie ab. So lasse ich es dann draussen stehen und mache mich beruhigt wieder auf den Weg zur Arbeit.
Jetzt weiss ich, warum ich Dinge nicht in den Ofen stellen soll, ausser ich benütze ihn.