Donner erschütterte den Untergrund und ließ feinen Staub von der Höhlendecke rieseln. Die kleinen Kinder zuckten erschrocken zusammen und blickten sich ängstlich um. Die größeren gaben Gleichgültigkeit vor und konzentrierten sich auf das Ziel, das so nah war: Der Altar Gaias, geschmückt mit fantastischen Edelsteinen und kostbaren Opfergaben.

Es war verboten, hier zu sein. Die Höhle wurde nur zu rituellen Zwecken genutzt. Doch Adrian, der Anführer ihres kleinen Rudels hatte es sich in den Kopf gesetzt, in die Höhle zu steigen und so sämtliche Regeln zu brechen. Es sei eine Mutprobe und jeder, der nicht mitkäme, sei für immer ein Feigling.

Das konnte ich natürlich nicht riskieren. Die anderen Kinder hielten mich sowieso schon für sonderbar weil ich ein Findelkind war.

Wir hatten den leicht abwärts führenden Gang, an dessem tiefsten Punkt ein kleiner Höhlenbach sprudelte, hinter uns gelassen und begannen mit dem finalen Aufstieg zur heiligen Stätte. Das Licht unserer Lichtkugeln wurde bereits von verheißungsvoll funkelnden Edelsteinen reflektiert. Angespornt trabten wir den Hang hinauf. Wir waren ungefähr auf der Hälfte, als ein seltsames Gefühl sich meiner bemächtigte. Ich kannte die Reaktion, hatte sie jedoch nur, wenn ich mich in der Nähe von Wassermassen befand.

Wie angewurzelt blieb ich stehen.

«Lauft! Los, hinauf mit euch!», schrie ich mit überschlagender Stimme.

Während das verzerrte Echo einen bizarren Chor generierte, schnappte ich den kleinsten Knirps, hob ihn unzeremoniell hoch und raste den Hang hinauf. Im Rücken hörte ich das Wasser Rauschen.

Endlich folgten die anderen meinem Beispiel. Adrian, immer schon der schnellste, war oben angekommen und zog die Kinder auf den Altar von Gaia, eine dicke Platte aus Marmor. Unzeremoniell kickte er die Opfergaben weg, um Platz zu schaffen.

Ich warf den Jungen in Adrians Arme und zog mich auf den Tisch hinauf. Schäumend und gurgelnd stieg das Wasser vom Tunnel hoch und wurde nur vom panischen Gekreische der Kinder übertönt. Wir Älteren drängten die Kleineren nach hinten, so als ob wir sie vor den Fluten beschützen konnten.

Wir saßen fest.

Seltsamerweise hatte mich eine unerklärliche Ruhe ergriffen. Nüchtern betrachtete ich unsere prekäre Situation. Das Wasser war bis knapp unter den Altar angestiegen. Momentan blieb der Pegel konstant, doch das konnte auch nur einen Aufschub bedeuten. Selbst wenn das Wasser nicht weiter stieg, könnte uns in der kleinen Luftkammer oberhalb des Altars  schnell der Sauerstoff ausgehen.

«Jemand muss versuchen herauszuschwimmen und die Erwachsenen zu alarmieren», erklärte ich ruhig.

«Das wäre Selbstmord!», behauptete Adrian.

«Der Weg ist viel zu lange», piepste ein Mädchen.

«Ich bin eine gute Taucherin. Ich werde es versuchen.» Ansonsten sind wir alle verloren. Den letzten Teil sagte ich nicht laut, um die Kleinen nicht noch mehr zu verängstigen. Aber Adrian verstand mich auch so. Zögernd nickte er.

Schnell begann ich meine obersten Kleiderschichten auszuziehen. Alles mit dem ich mich verheddern konnte, musste weg. Die Kinderschar sah mich mit grossen Augen an.

«Pass auf dich auf, Mariana.»

«Ich werde euch Hilfe bringen», versprach ich und stieg in das kalte Wasser. Ehe der abschüssige Boden zu weit abfiel, holte ich einige Male tief Luft. Die Apnoe-Taucher der kaiserlichen Marine bereiteten sich minutenlang auf einen Tauchgang vor. Doch so viel Zeit blieb mir nicht.

Ein letzter Atemzug und ich sank ins Nass. Zu meiner Überraschung war es alles andere als ruhig. Grollende und blubbernde Geräusche umgaben mich. Schnell stieß ich mich ab um abwärts zu tauchen. Der Druck nahm mit jedem Schwimmzug zu. Leider kam ich nur langsam vorwärts, da ich gegen meinen eigenen Auftrieb ankämpfen musste. So konnte ich gleich wieder umkehren!

Als ich mir schmerzhaft das Knie an einem hervorstehenden Stein stieß, kam mir eine Idee. Mir blieb keine Zeit, um das Für und Wider abzuwägen. Rasch tastete ich den Grund ab, bis ich einen großen Stein fand, den ich knapp noch anheben konnte. Große Luftblasen entwichen meinem Mund, als ich den Brocken hochzog. Sediment wirbelte auf und trübte meine Sicht. Mit aller Kraft streckte ich den Stein vor mich und ließ mich von seinem Gewicht in die Tiefe ziehen. Es klappte!

Meine Freude währte nur kurz, als mich die Schwärze des unteren Gangabschnittes umfasste, denn das spärliche Licht der Kugeln reichte nicht mehr bis hier. In meiner Eile hatte ich vergessen eine eigene Lichtquelle mit auf den Tauchgang zu nehmen. Wie dumm von mir.

Ich ließ den Stein fallen und tastete blind mich vorwärts. Allmählich begannen meine Lungen zu protestiere, doch ich hielt mich am Bild der verängstigten Kinder fest. Sie zählten auf mich.

Als meine Hand plötzlich ins Leere griff, drohte mich nun doch Panik zu überrollen. Der Weg müsste allmählich wieder ansteigen. Warum fiel er denn plötzlich ab?

Meine Angst verstärkte das Verlangen nach frischer Luft. Reflexartig zogen sich meine Lungenflügel zusammen und Punkte tanzten vor meinen blinden Augen.

Nein! So durfte es nicht enden! Störrisch schob die ich lähmenden Emotionen beiseite und schlug mit den Beinen aus. Weiter und weiter quälte ich mich. Schließlich streifte meine Hand wieder Fels und ich zog mich weiter in die Finsternis. Allmählich musste ich gegen eine Strömung ankämpfen. Das war ein gutes Zeichen, oder nicht? Meine erschöpften Muskeln protestierten säuerlich. Nicht mehr lange und mir würden die Kräfte ganz schwinden. Bereits spürte ich ein Ungutes verheißendes Kribbeln in den Fingerspitzen. Ich versuchte durch die Finsternis zu starren. War das Licht, das sich dort so vielversprechend im Wasser brach?

Vielleicht! Aber ich hatte keine Kraft mehr, es zu erreichen. Es war einfach zu weit weg.

Verdammt.

Ich hatte versagt.

Ergeben öffnete ich den Mund und gab dem ureigenen Bedürfnis, Luft zu holen, nach.

Wasser quoll hinein. Doch anstatt dass es in meine Lungen strömte, passierte etwas anderes. Das Wasser fühlte sich besser an, als jeder Atemzug es je getan hatte. Etwas flatterte an meinem Hals. Als ich die Hand hob, spürte ich feine Kiemen, durch die das gefilterte Wasser strömte.

Warmes Glück vertrieb die bleierne Schwere aus meinen Gliedern, doch mir blieb keine Zeit um das Wunder zu hinterfragen. Die Kinder warteten auf Rettung und ich alleine konnte sie ihnen bringen.

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