Dr. Roska wischte sich erst den Schweiss von der Stirn und dann die Tränen von den Wangen. Jahrzehnte lang hatte er auf diesen Moment hingearbeitet. Der erste Pitch war etwas mehr als 30 Jahre her. Damals wurde er noch größtenteils ausgelacht. Dafür könne er nie Investoren finden. Er sei ein Verrückter, die Idee verwerflich – Abfall im All, das sei nur eine Problemverlagerung. Irrsinn.

Aber Dr. Roska hatte trotzdem nicht aufgegeben. Er war sich sicher, seine Zeit würde kommen.

Während die Abfallberge immer mehr und die Stimmung immer verzweifelter wurde, verfolgte er unbeirrt sein Ziel. Sein Durchhaltevermögen zahlte sich aus, denn er fand schlussendlich einen Sponsor – oder besser gesagt, der Sponsor fand ihn. Mr. Hudson war eine sehr zurückgezogene Person, steinreich mit einer Schwäche für Aussenseiter. Er gab Dr. Roska das  nötige Geld mit dem er ein qualifiziertes Team zusammenstellen konnte. Danach ging es Schlag auf Schlag. Meetings mit privaten Raumfahrtsunternehmen, mit Hochschulen und schliesslich sogar Staatsdinner.

Sein Traum nahm Gestalt an.

Ihm wurden Raketenprototypen und Laufbahnberechnungen vorgestellt. Ein berühmtes Beratungsunternehmen fing an das Projekt zu unterstützen. Dr. Rsoka wurde zum gefragten Keynotespeaker.

Eine Bewegung entstand.

Er gab den Leuten Hoffnung. Künftige Generationen würden nicht im Müll versinken. Sie konnten den Planeten wieder grün machen. Endlich konnten sie aus ihrer Ohnmacht aufwachen.

Einer der letzten Schritte war dann die Wahl eines geeigneten Weltraumbahnhofs. Seine Wahl war auf das Obasanjo Space Center in Abuja, Nigeria gefallen. Ein Ort wie er, lange nicht auf dem Radar der meisten Leute und unterschätzt. Zu unrecht. Mit genügend Geld rüstete er das Space Center auf und schaffte zuerst hunderte, dann über die Jahrzehnte tausende von Arbeitsplätze.

Als schliesslich die erste Testrakete abgefeuert wurde, waren die Blicke aller auf ihn und den Weltraumbahnhof gerichtet. Die Welt hielt kollektiv den Atem an, als sich die Rakete trügerisch langsam in den Orbit boosterte.

Dies war ein Meilenstein. Zweifellos. Aber solange kein Abfall befördert wurde, war sein Ziel nicht erreicht.

Mit dem geglückten Testflug fing der Ausbau der Infrastruktur an.

Port Harcourt wurde ebenfalls aufgerüstet, um die Flut der ankommenden Schiffe aufzunehmen zu können, die künftig den Abfall aus der ganzen Welt brachten. Dieser wurde dann mit einer neu gebauten Magnetschwebebahn zum Space Center gebracht. Dr. Roska merkte schnell, dass obwohl der Abfall vorsortiert sein sollte, die Trennung in wiederverwertbar und nicht wiederverwertbar im besten Fall nachlässig gemacht wurde. Also bauten seine Stiftung die Anlagen selbst, obwohl nicht alle Investoren davon begeistert waren.

Sie hätten der Stiftung Geld gegeben um Abfall ins All zu bringen, nicht um ihn hier für die Verwertungsanlagen zu verwenden. Anstatt diesen Kampf alleine auszutragen, zitierte Roska die Investoren in die Öffentlichkeit. Die Drohungen, das Geld abzuziehen, die in einem abgeschirmten Sitzungsraum so viel Macht hatten, klangen in der Öffentlichkeit seltsam leer.

Dr. Roskas Team hatte eine leidenschaftliche Rede geschrieben, um diesen Sieg zu feiern. Stattdessen stand er eine Minute am Podium und sagte lediglich: «So hätten wir es schon immer machen sollen.»

Die Anlagen wurden weiter gebaut. Die Raketentests fortgeführt, bis schliesslich der erste Versuch mit der verheissungsvollen Cargo gemacht wurde. Natürlich lief nicht alles perfekt. Aber mittlerweile arbeitete die Roska Stiftung mit den weltweit besten Ingenieuren zusammen. Es war erstaunlich wie schnell ein Problem gelöst werden konnte, wenn man die richtigen Ressourcen am richtigen Ort hatte.

Und dann kam jener heisse Tag, an dem die Tests vorbei waren.

Die Rakete sah nicht viel anders aus als bei den Testläufen, aber nun musste alles passen. Während das erste Modul der Rakete nach wenigen Minuten wieder landete, begann der Rest seinen langen, berechneten Weg durchs All.

Ab diesem Moment an gab es täglich mehrere Starts. Die ganze Lieferkette kamen voll in Schwung.

Es wurde lukrativ, Abfall zu sammeln. Jeder konnte seinen Teil dazu beitragen. Gleichzeitig, einem Paradox gleich, entstand ein Bewusstsein für die verschiedenen Ursachen die zu Abfall führten. Auch wenn man jetzt eine Lösung hatte, den Abfall loszuwerden, entstand ein Widerstand, nicht rezyklierbare Produkte überhaupt auf den Markt zu bringen.

Die Entwicklung schritt zuerst schleichend und dann immer ausgeprägter voran.   

Die Mitteilung, als sie dann kam, überraschte Dr. Roska, mittlerweile im Reifen Alter von 110, nicht. Das Programm müsse eingestellt werden. Es rentiere nicht mehr. Über die Jahre hinweg war das Intervall, der Raketenstarts gesunken, bis nun eben der Moment kam, an dem das Programm zum Erliegen kam.

Dr. Roska bereitete sich auf seine letzte öffentliche Rede per Videoübertragung vor. Wieder hatte jemand für ihn eine eloquente Rede vorbereitet, denn man wusste ja nicht wie gut sich der betagte Mann unter diesen Bedingungen noch ausdrucken konnte.

«Wie fühlen Sie sich, Dr. Roska? Sie haben ihr ganzes Leben der Stiftung gewidmet. Wie geht es Ihnen nun, da es eingestellt wird?», fragte eine übereifrige CNN-Reporterin.

«Mir geht es gut, meine Liebe. Es ging mir nie darum, all den produzierten Abfall ins All zu schiessen. Wir hätten die nötigen Fortschritte nie erzielt, wenn uns dieses Mamut-Projekt nicht vereint hätte.

Der Abfall im All war immer nur eine Zwischenlösung, die uns Raum und Zeit verschaffen sollte, dem Problem auf der Erde Herr zu werden. Das war mir schon immer klar. Und es freut mich sehr, dass ich Recht behalten habe.»

Zwanzig Tage später gab es nochmals einen Raketenstart. Sie enthielt die Asche von Dr. Roska, der seine letzte Reise antrat und dem Abfall auf der berechneten Route durchs All folgte.

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