Für Dominic

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Als Thaddeus die Läden an den Fenstern seines Ateliers öffnete und auf die Straße sowie die lange Menschenschlange vor seinem Geschäft blickte, wusste er nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Noch vor einem Jahr hätte er sich einen solchen Ansturm nicht in seinen kühnsten Träumen vorstellen können. Er war selbst auf der Verkaufsfläche gestanden, weil er die 1-2 Kunden am Tag gut selbst bedienen konnte. Nun hatte er 3 Angestellte, die nichts anderes taten, als seine Automaten zu verkaufen.

Von der Straße drang nicht nur Deutsch herauf, sondern auch Französisch und Englisch. Das alles geriet langsam aus dem Ruder. Ein Journalist hatte ihm im Tagesblatt vorgeworfen, er werde den Untergang der Menschheit besiegeln, denn junge Leute wollten lieber mit seinen Automaten zusammen sein, als sich mit dem anderen Geschlecht einzulassen. Die Zeitungen nannten ihn den Mörder der Liebe und schürten den Mystizismus um seine Person. Dass Thaddeus sich in seinem Atelier verschanzte und alle Einladungen an Bälle, Soirées und sogar Staatsanlässe verschmähte, half natürlich nicht.

Dabei hatte er Menschen schon vor seinem Erfolg nicht sonderlich gemocht. Und es war bestimmt keine Absicht gewesen, mit seinen Automaten der Liebe den Garaus zu machen.

Thaddeus würde nämlich von sich aus behaupten, dass er gar nicht wusste, wie sich Liebe anfühlte. Er fand durchaus Gefallen am schönen Antlitz eines jungen Mädchens, so zart und zerbrechlich wie eine Blütenknospe, oder an der kraftstrotzenden Ausstrahlung eines Jünglings, der Weisheit einer Witwe oder dem Kalkül eines Silberfuchses. Aber dasselbe Gefühl konnte bei ihm eine schöne Landschaft oder ein Gemälde auslösen. Das konnte doch nicht Liebe sein oder? Körperliche Nähe duldete er seit seiner Kindheit nicht mehr. Und abgesehen von der Fortpflanzung sah er nicht ein, warum man Körpersäfte austauschen sollte.

Deswegen hatte er seine Automaten erschaffen. Sie waren einfach da, hatten keine Ansprüche, bzw. nur diejenigen die man ihnen einspielte und sahen so aus, wie er wollte. War das oberflächlich? Natürlich! Aber wenigstens stand er dazu. Die Menschen auf der Straße unten zeigten zudem, dass sie wohl genauso gierig danach waren.

Er wandte sich vom Fenster ab und seinem Arbeitsplatz am anderen Ende des Raumes zu. Seine Instinkte warnten ihn, dass etwas nicht stimmte, noch bevor seine Augen das Bild fertig analysiert hatten. Seine Hand glitt in die Jackentasche und klappte den Deckel eines kleinen Geräts auf.

«Ich warne Sie! Soeben habe ich den Detonator einer kleinen Bombe dort neben Ihnen scharf gestellt!»

Die Frau glitt vom Tisch herunter, auf dem Sie wie ein Kind gesessen und die Beine hatte baumeln lassen. Ihre Bewegungen hatten etwas katzenhaftes, Ihre Augen eine Tiefe, die er mit Glas nie erschaffen konnte. Trotz der Drohung schien sie alles andere als verängstigt.

«Wären Sie wirklich gewillt, Ihre Arbeit hier», sie wedelte Richtung der verschiedenen Automaten, die allesamt in verschiedenen Stadien der Komplettierung waren, «in die Luft zu jagen?»

«Ich habe bereits hunderte erstellt. Ich kann neue machen. Was treiben Sie hier und wie sind Sie hereingekommen?»

«Ich wollte ein Pläuschchen mit ihnen halten», sagte die Fremde unbekümmert.

«Dann sind Sie Journalistin?»

Das glockenhelle Lachen klang wie Musik. «Gott behüte, nein!»

«Was sind Sie dann, eine Aktivistin?»

«Für was?»

«Die Liebe. Sie wären nicht die erste, die mir klar machen will, dass mein Treiben Sünde ist. Sie haben mir schon Huren, Priester und einen Exorzisten an den Hals gehetzt.»

«Das klingt kurzweilig.»

Thaddeus grinste. «Das war es. Irgendwie musste ich die Fernzünder für meine Bomben ja optimieren.»

Wieder schienen die Worte keinen Eindruck bei seiner Besucherin zu hinterlassen.

Aus einem Impuls heraus, ließ er die Kappe über dem Zünder wieder zuschnappen und sicherte diesen. Diese Handlung wurde von ihr mit einem wissenden Lächeln quittiert.

Die Fremde schritt auf ihn zu. Ihre Hände fuhren lasziv hoch zu ihrem Mieder.

«Oh, daran bin ich nicht interessiert, meine Gute», protestierte Thaddeus.

Aber die Frau ignorierte ihn und war schon daran, ihre Bluse aufzuknöpfen.

«Stopp!» Thaddeus griff nach der Hand der Frau. «Wollen Sie mich verführen? Das hat keinen Zweck!»

«Auf eine gewisse Weise…»

Mit einer fliessenden Bewegung befreite sich die Frau aus seinem Griff und riss die verbliebenen Knöpfe auf. Morgensonne traf auf den blossen Oberkörper, doch Thaddeus hatte keine Augen für die wohlgeformten Brüsten. Stattdessen fiel ihm auf, dass die Haut unterhalb des Hemdkragens einen perlmutfarbenen Schimmer besaß. Ihm stockte der Atem.

Gebannt beobachtete er, wie die Fremde mit dem Zeigefinger die Stelle über ihrem Herzen nachfuhr. Als ob sie ein Skalpell benutzt hätte, teilte sich die Haut und gab das durchsichtige Gehäuse eines Uhrwerkes frei. Kleinste Zahnräder griffen in einander, Federn spannten und entspannten sich und kleinste Hämmerchen schlugen rhythmisch vor sich hin.

«Es ist wunderschön», hauchte Thaddeus. «Wie ist so etwas möglich? Meine Automaten sind im Steinzeitalter verglichen zu dir.»

«Das Geheimnis liegt in der Hemmung und der Unruh», flüsterte die mechanische Frau verschwörerisch.

«Komm mit mir mit, dann weihe ich dich in meine Geheimnisse ein.»

Später wurde viel über die Gründe für Thaddeus’ Verschwinden spekuliert. Von Selbstmord auf Grund des Leistungsdrucks war die Rede. Oder dass er in die Hände eines Fanatikers gefallen sei. Am Hartnäckigsten hielt sich jedoch das Gerücht, dass er sein Herz an eine Dame verloren habe und für sie alles stehen und liegen gelassen hatte. Und für einmal, waren die Medien erstaunlich nah an der Wahrheit dran. Thaddeus hatte endlich die Liebe gefunden.