Gross, breitschultrig, mit einem Brustkorb, der an ein Fass erinnerte, Stiernacken und langen Gorillaarmen wirkte Ben wie ein typischer Schläger aus einer Zeichenzeitschrift. Sein Übername in der Schule war denn auch «Schrank». Der Unterricht war nie seine Stärke – ausser Sport natürlich. Im akademischen Wrestlingteam brachte er es ziemlich weit, doch dann wollte sein Coach plötzlich mit ihm Duschen und Ben hörte schleunigst mit dem Wrestling auf. Er fing eine Lehre als Automechaniker an, brach sie dann jedoch ab und landete auf dem Bau. Dort sprach ihn ein Portugiese darauf an, ob er nicht mehr Geld verdienen wolle. Leute seiner Statur seien immer gebraucht und so landete Ben im Untergrund, wo er schnell als Big Ben bekannt wurde. Seine Wrestlinghintergrund gab ihm eine gute Grundbasis beim Leute Vermöbeln, sodass alsbald die lokalen Gangsterbosse auf ihn aufmerksam wurden. Bis dato hatte Ben nie eine Partei ergriffen. Doch nun stand jeden Abend eine andere Blondine vor seiner Haustüre, mal bezahlt von Donny Carnevale, mal von Louis dem Froschfresser. Ben nahm die Gesellschaft gerne an. Mädchen hatten bisher nie sonderlich viel Interesse an ihm gezeigt, aber die Frauen der Nacht spielten ihm sehr überzeugend vor, dass er ein Hengst sei, sodass er die Stunden zwischen den Laken genoss. Er wusste natürlich, dass es so nicht weitergehen konnte. Irgendwann würde es Donny und Louis zu bunt werden und sie würden erwarten, dass er eine Entscheidung fällte. Früher, zu den Zeiten als er noch «Schrank» war, da hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht, als dazuzugehören. Er hätte alles getan, um seinen Mitschülern zu gefallen. Aber sie hatten nie hinter seine grobschlächtige Fassade geschaut. Nun als Big Ben fühlte er sich frei. Er genoss es unabhängig zu sein und von Job zu Job zu tingeln. Ihm stand die Welt offen. Nur einsam war er zuweilen eben doch noch. Wenn er im Zwielicht der Morgendämmerung nach Hause schlenderte, dann erwischte er sich manchmal dabei, wie er von einer Mrs Big Ben träumte. Wild würde sie sein, schön und gross natürlich. Und sie würde mit ihm um die Welt reisen, vielleicht würden sie sogar den einen oder anderen Pädo-Coach im Tandem zusammenschlagen.

Ben erlaubt sich diese Träumereien, wusste jedoch, dass diese nie Realität werden würden. Es gab einfach zu wenig Frauen im Untergrund … Er blieb abrupt stehen. Was, wenn dies seine Bedingung gegenüber den Gangsterbossen sein würde? Derjenige, der es schaffte, ihn mit einer passenden Partnerin zu verkuppeln, würde sich seine Loyalität sichern? Ben kam zum Schluss, dass er so gleich zwei Fliegen auf einen Streich treffen würde. Er formulierte also sein Begehren und sandte es den beiden zu. Es dauerte schliesslich einige Tage, aber dann trudelten zwei Einladungen ein. Louis bat ihn um acht ins Chateau und Donny um sieben Uhr früh ins Café Little Rome. Ben wunderte sich über die Uhrzeit der zweiten Einladung, aber wer wusste schon, wie Gangster dachten. Er macht sich also am Abend auf ins Chateau, mit frisch gewaschenem Nadelstreifenanzug, den er bei einem Türsteherjob in einem Edelclub erhalten hatte und geöltem Haar, sowie einem Rosenstrauss in der Hand. Er wollte ja einen guten Eindruck machen. Louis begrüsste ihn überschwänglich, zitierte ihn an den Tisch und setzte ihm erst mal Kaviar und Champagner vor die Nase. Ben rührte beides kaum an, so nervös war er, endlich seine Traumfrau kennenzulernen. Louis genoss Bens Nervosität, doch schließlich winkte er seinen Bodyguards zu und sie ließen eine Frau durch. Ben verschlug es der Atem, sie war gross, mindestens 1.80, hatte eine blonde Wallemähne und Oberarme so dick wie die Schenkel anderer Frauen. Sie war sorgfältig geschminkt, doch das Makeup konnte die harten Kanten ihres Gesichts nicht ganz vertuschen. «Genau was du wolltest, oder Big Ben? Wenn du für mich arbeitest, dann ist das erst der Anfang», grinste Louis. Ben nickte sprachlos. Dann versuchte er sich an einem Lächeln, das die Blondine desinteressiert erwiderte. Schnell besann er sich seiner Manieren und überreichte ihr die Rosen. Artig nahm die Blondine diese an, schien jedoch nicht sonderlich daran interessiert zu sein. «Äh, wollen wir vielleicht ein paar Schritte zusammen gehen?», schlug Ben vor. Louis warf ihnen ein paar zotige Bemerkungen nach, als sie sich entfernten. Ben brachte in mühsamen Small-Talk-Versuchen in Erfahrung dass seine Blondine Svetlana hiess. Svetlana blieb wortkarg. Umso überraschter war Ben dann, als sie ihn in ihr Hotelzimmer einlud. Ihr Stelldichein glich mehr einer Prügelei. Wortwörtlich erschlagen, schlief Ben einige Stunden, bevor er sich dann um 6 Uhr aus dem Zimmer schlich. Er wusste, Louis hatte die Nadel im Heuhaufen für ihn gefunden, trotzdem war er neugierig wer Donny ihm präsentieren würde. In zerknittertem Anzug und unordentlichen Haaren tauchte er dann im Café auf. Donny saß mit einem Espresso und der aufgeschlagenen Morgenzeitung dort. «Du siehst aus, als hättest du eine strenge Nacht hinter dir», bemerkte er lächelnd. «Kann man sagen», gab Ben zu. Erwartend sah er sich um. Aber Donny wirkte nicht, als würde er demnächst eine Dame aus seinem Ärmel zaubern. Zudem machte er keine Anstalten, seinem künftigen Angestellten auf einen Kaffee einzuladen. Schliesslich stand Ben selbst auf und holte sich einen doppelten Espresso mit viel Zucker. Als Donny immer noch nichts dergleichen tat, fragte er: «Und wo ist sie?»

Donny beugte sich vor und deutete auf ein Tischchen beim Fenster. Eine junge Frau saß dort. Sie war zierlich, braunhaarig und in einen dicken Schmöcker vertieft. Auf ihrem Kaffebecher stand Maria mit einem Herzchen. Ben hob fragend eine Augenbraue. Hatte Donny seine Beschreibung nicht bekommen? Klar, die Kleine war niedlich, wie sie so dasaß, sich eine Haarlocke um den Finger wickelnd, ganz absorbiert von ihrer Buchwelt, aber sie war kaum die gewünschte, prügelnde Superblondine. Als ob er seine Gedanken gelesen hatte, antwortete der Gangsterboss: «Manchmal ist es besser, wir bekommen nicht, was wir wollen, sondern nehmen das an, was wir eigentlich brauchen. Wenn du für mich arbeitest, dann gehörst du zur Familie; und ich schaue zu meiner Familie.»

Ben nickte. Er hatte seine Entscheidung getroffen. «Ist die Kleine zu haben?»

«Wenn du sie dir eroberst», meinte Donny aufmunternd.

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