Halb amüsiert, halb gelangweilt besah sich Dora den kleinen Gnom zu ihren Füssen. Blaue Haare, blaue Augen, pinke Haut. Fast so pink wie ein Schweinchen. Bei dem Gedanken lief Dora das Wasser im Mund zusammen. Fette, saftige Schweinchen. Erst ein wenig über der eigenen Flamme rösten und schon hatte man eine knusprige Köstlichkeit die man nur noch mit etwas Salzlauge verfeinern konnte. Ein Trick, den Dora von einem Menschen gelernt hatte. Leider, hatte der kleine Gnom hier vorne wenig gemeinsam mit einem Schwein – abgesehen von der Haut. Ansonsten war sie klein und sehnig, hatte wohl kein Gramm Fett am Leib und würde wohl wie alle Gnome auf dieser Welt die Angewohnheit haben zwischen den Zähnen zu kleben.
Genau das war auch der einzige Vorteil dieses jämmerlichen Wesens. Lissa Sternwanderer nannte sie sich. Erzählte mühevoll von einer leidlichen Verwechslung und dass es ihr doch ach so leidtat, hier, in Doras Höhle gelandet zu sein. Dora glaubte ihr kein Wort. Mindestens einmal alle zehn Jahre kam jemand wie Lissa hier her. Ob Gnom, Elf, Mensch oder Zwerg war dabei völlig egal. Sie wollten alle nur eines. Sie wollten Doras Schätze haben. Nur, wer an den Schatz eines Drachen wollte, der musste früher aufstehen. Bestimmt früher auf jeden Fall als Lissa hier, die nun schwitzend versuchte, sich aus ihrer misslichen Lage hinauszureden.
Oh sie war gewitzt und mutig – ja das sah man – und frech. Vor allem andere war sie frech. Mochte sie auch gerade Angst haben – das war gut genug zu riechen – so war sie doch vor allem anderen frech. Sie besaß nämlich die Frechheit, mit Dora handeln zu wollen. Als würde Dora irgendetwas von einem Gnom benötigen. Was sie wollte, das würde sie sich holen. Das war schon immer so gewesen und das würde immer so sein.
»Ich könnte dir Zaubertricks vorführen«, bot der kleine Gnom an, doch Dora lachte und schüttelte den Kopf.
»Zaubern, das kann ich selbst. Was könntest du mir zeigen, was ich nicht längst beherrsche?«
Lissa schien einzusehen, dass der Vorschlag nichts taugte und dachte fiebrig weiter.
»Ich könnte dir einen Diener bauen?«
»Du könntest mein Diener sein«, schlug Dora stattdessen vor und ihre Augen blitzten belustigt. Lissa wich doch glatt die Farbe aus dem Gesicht und hob schnell und abwehrend die Hände.
»Das halte ich für eine äußerst schlechte Idee. Ich rede viel zu viel, brauche Essen, muss mich waschen können, brauche einen Ort um mich zu erleichtern. Außerdem wären meine Fähigkeiten hier vergeudet.«
Dora schnaubte lachend. Frech und vorlaut waren wohl nur die Vornamen der Kleinen.
»Aber ich könnte dir einen Diener bauen oder herbei zaubern. Einen der das alles nicht braucht und einfach nur leise seine Arbeit tut.«
»Und für was, bitteschön, sollte ich so einen Diener brauchen?«
»Er könnte hier etwas Ordnung machen«, wähnte der kleine Gnom und warf einen Blick an Dora vorbei in die Höhle. Dora hob fast schon ein wenig empört eine Augenbraue. Einesteils, fühlte sie sich nun doch etwas in ihrer Ehre verletzt und zum Anderen, glaubte sie zu wissen, dass dieses Angebot keinesfalls nur aus dem reinen Überlebensdrang kam. Hier wollte jemand zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
»Ordnung? Gefällt dir meine Ordnung etwa nicht?«, fragte Dora daher mit all der Empörung, die sie aufbringen konnte und spielte das beleidigte Reptil.
»Etwas … wild?«, hakte Lissa probehalber nach, hob aber sogleich die Hände und wich einen Schritt zurück, als Dora ihren mächtigen Kopf auf ihre Höhe hinab senkte.
»Schon gut, schon gut … keinen Diener.«
Ungewollt musste Dora lachen. Sie würde die Kleine noch etwas Leben lassen. Die Unterhaltung konnte sie sich nicht entgehen lassen. Nur entschied sie sich dafür, ihr noch etwas mehr Druck auf zu erlegen. Ihre Schnauze noch immer auf der Höhe des kleinen Gnoms, ließ sie die Feuer in ihrem innern auflodern und hauchte ihrem Gast nur eine kleine Probe der Wärme entgegen, die sie zu erwarten hatte. Zufrieden roch sie, wie die Angst ein neues Level erreichte.
»Also nochmals, warum sollte ich dich nicht fressen?«
»Ich verursache grässliche Magengeschwüre. Ganz bestimmt. Das letzte Reptil, das mich gefressen hat, ist explodiert. Das ist auch kein Witz.«
»Nein, eher eine Lüge«, seufzte Dora, hob den Kopf wieder an und stellte müßig fest, dass sie es wohl gerade übertrieben hatte. Schande. Da blieb die Frage offen, ob es nun schon aus war mit der kleinen Erheiterung.
»Nein, nein, das ist keine Lüge!«, bestand der kleine Gnome jedoch und mit einem Mal schien ihr eine Idee zu kommen.
»Ich erzähle dir was wirklich passiert ist. Aber dafür lässt du mich gehen.«
»Was denn das für ein Angebot sein. Eine Geschichte für ein Leben. Du hälst mich wohl für besonders dumm?« Es ist wohl zu verstehen, dass Dora sich nicht gerade geschmeichelt fühlte von dem Angebot. Dennoch weckte es eine leise Sehnsucht in ihr.
»Ein sehr vorzügliches«, erklärte der Gnom. »Schließlich lebst du hier allein. Das muss furchtbar langweilig sein. Ich hingegen erlebe Abenteuer. Von denen kann ich dir erzählen.«
Ärgerlicherweise musste sich Dora eingestehen, dass die Kleine einen Punkt getroffen hatte und so kam es, dass sie ohne grosses Umschweifen einlenkte.
»Nun gut. Du erzählst mir Geschichten, bis du keine mehr hast. Dann ziehst du aus und erlebst neue Abenteuer und nach jedem dieser Abenteuer kehrst du zu mir zurück und erzählst, was du erlebt hast.« Ein bereits Grinsen stellte sich auf dem Gesicht des kleinen Gnoms ein.
»Einverstanden.«
Sie hoffte wohl, dass Dora vergessen würde, nach ihr zu suchen. Dabei vergaß sie wohl, wie besitzergreifend Drachen doch sein konnten. Dora würde ihre kleine Geschichtenerzählerin niemals vergessen und überall finden.