Wie jeden Donnerstag gingen die Bewohner von Mattendorf ihren verschiedenen Beschäftigungen nach. All diejenigen, die mit den Buchstaben E bis H anfingen, suchten als erstes das Schurzentrum auf. Dort wurden Emil, Eugen, Ferdinand, Frida und Fabian, Gustav, Getrud sowie Heinz, Hanna und Hilde professionell um ihre dicke Wolle erleichtert.

Für die Wolle erhielten sie Plaquetten, mit denen sie sich etwas Schönes leisten konnten. Getrud hatte ein Auge auf ein bestimmtes Teeset geworfen und Eugen brauchte neues Kraut für seine Pfeife.

Bevor sie ihr kleines Vermögen ausgeben konnten, mussten die frisch geschorenen Bewohner allerdings zuerst ihre Arbeit verrichten. Hanna und Frida arbeiteten in der Spinnerei. Dort stellten sie zusammen mit vielen anderen das Garn aus der Rohwolle her.

Emil war Färbermeister und behandelte mit seinen Tinkturen die weisse Wolle, damit sie schillerte wie alle Farben des Regenbogens.

Gertrud war Weberin. Man hätte es ihren Hufen kaum zugetraut, doch die Gute konnte so komplexe Muster weben, dass ihre Teppiche weit über die Landesgrenze hinweg berühmt waren.

Neben den Weberinnen gab es auch noch Strickerinnen. Diese saßen gerne im Kreis beisammen, plauderten und stellten mit klickenden Nadeln Pullover, Mützen, Socken und Handwärmer her. Mit dieses erzielten sie einen so guten Umsatz, dass sie ein bequemes, luxuriöses Leben führen konnten.

Ja, den Bewohnern von Mattendorf ging es gut. Doch einer konnte nicht an ihrem Glück teilhaben: Albus, das schwarze Schaf. Seine Mutter hatte alles versucht, damit er nicht ausgeschlossen wurde; begonnen mit dem Namen Albus, der so viel wie «Weiss» bedeutet. Sie steckte ihn in die beste Vorschule und in der Hauptschule schrieb sie ihn in jeden Zusatzkurz ein, in der Hoffnung, dass er so einfacher Freunde finden würde.

Aber das alles half nicht.

Seine schwarze Wolle machte ihn zu einem Sonderling. Die anderen Schüler hatten die Engstirnigkeit von ihren Eltern übernommen.

Als Albus schließlich einen Beruf wählen sollte, sah er sich einer neuen Herausforderung gegenüber. Alle Berufe mit Kundenkontakt waren ihm bereits wegen seinem Aussehen verwehrt. Und die anderen Gilden waren so verbrüdert, dass sie immer einen Grund fanden, um ihn abzulehnen.

Bei den Spinnern war er anscheinend zu wenig geschickt. Bei den Weberinnen zu wenig kreativ und die Strickerinnen wollten lieber unter Frauen bleiben. Bei den Färbern hätte er eine Chance gehabt, aber hier schnappte ihm ein Mitschüler den Job weg.

Ergeben schlurfte er zurück zu seiner Mutter, die inzwischen weiser war. Sie gab ihm einen schlichten Rat mit: Er könne sich sein Leben lang bemitleiden oder er könne das machen, wofür sein Herz pochte.

Nach einer langen Nacht und viel verbranntem Pfeifenkraut kam Albus schließlich zur Erkenntnis, dass seine Mutter Recht hatte.

Er beschloss sich selbstständig zu machen. Zwar konnte er zum Scheren gehen, aber seine Wolle wurde nicht weiter verarbeitet. Dies änderte er nun. Er begann sein eigenes Garn zu spinnen, baute sich einen einzigartigen Webstuhl und strickte seine eigenen Pullover, Socken, Mützen und Handwärmer. Als der Markttag kam, baute Albus nervös seinen Stand auf und legte seine Arbeiten aus. Die Nachbarn schauten ihm halb misstrauisch, halb belustigt dabei zu.

Die ersten Besucher erschienen. Zwar beäugten sie alle seine Ware, doch niemand wagte sich näher heran. Albus liess sich davon nicht unterkriegen. Er hoffte auf die Marktbesucher von ausserhalb. Doch auch die Hasen, Gänse, Ziegen und Schweine interessierten sich nicht für seine Ware. Verzweiflung stieg in ihm auf.

Da nahm er einen Tumult am anderen Ende des Marktes war. Schafe stoben aufgeschreckt auseinander. Aber auch die externen Besucher suchten das Weite.

Albus beugte sich vor, um die Ursache auszumachen. Als er den großen Wolf erspähte, zuckte er zusammen. Gemütlich schlenderte der zwischen den Marktbuden herum. Das Raubtier hielt bei einigen Ständen inne, begutachtete die Ware, hob den einen oder anderen Pullover hoch und wechselte dann einige Worte mit den verängstigten Besitzern. Deren Antworten, falls sie nicht schon vorher geflüchtet waren, fielen sehr einsilbig aus.

Einige Male sah es so aus, als wolle der Wolf für ein Stück bezahlen, aber die Händler waren zu erstarrt. Offenbar kam Stehlen für den Wolf nicht in Frage und so legte er resigniert jeweils alles zurück und flanierte weiter.

Er kam immer näher zu Albus’ Marktbude. Obwohl dessen Knie schlotterten, blieb Albus standhaft. Der Wolf blieb prompt vor den schwarzen Wollartikeln stehen. «Interessant», murmelte der Grosse mit tiefer Stimme.

Er hielt probeweise einen Pullover hoch. «Gute Qualität, gross geschnitten, widerstandsfähiger Faden», listete er anerkennend auf. Albus nickte bloss.

«Wie viel kostet einer?»

«Zehn Sickel», piepste Albus. «Acht, wenn Sie zwei kaufen.»

«Hm», meinte der Wolf bloß und begutachtete die Mützen und Handwärmer. Albus fragte sich bereits, ob er seine Preise zu hoch angesetzt hatte, als der Wolf ihm eröffnete: «Ich brauche fünfzehn Stück.»

«Fünfzehn?», krächzte Albus perplex. «Ich habe nicht so viele hier.»

«Aber du kannst mehr herstellen?»

«Ja, es dauert, jedoch eine Weile. Ich mache alles selbst.»

Der Wolf nickte verständnisvoll. «Es eilt nicht. Mein Rudel braucht die Pullover erst für den Winter. Das Schwarz ist perfekt für die Jagd in dunklen Nächten», grinste er mit blitzenden Zähnen. «Ich hab das Geld aber schon dabei. Sieh es als Investition in dein Geschäft an.»

Die beiden schlugen ein. Als Albus den Stand abbrach, konnte er sein Glück kaum fassen. Er nutzte das Geld und stellte weitere schwarze Schafe aus anderen Dörfern an. Seine Angestellten waren ihm so dankbar, dass er sie aus ihrer miserablen Existenz geholt und ihnen Arbeit gegeben hatte, dass sie hochmotiviert waren.

Das Ende des Herbst kam und der Wolf holte seine fünfzehn Pullover ab. Auf dem Wäscheetikett prangte stolz Albus’ Logo, schwarz auf einem Regenbogenuntergrund: Black Sheep Inc.

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