Gebückt schlich sie durch das Dickicht. Dornen zerrten an ihrem roten Mantel und der Flechtkorb am Arm blieb ständig irgendwo hängen. Entschlossen entriss sie ihn erneut einem Gestrüpp. Seit sie den Pfad durch den Wald verlassen hatte, kam sie nur noch langsam voran. Es war trotzdem die richtige Entscheidung gewesen. Sie wusste, wo sich die wachenden Augen des Irrsinns überall befanden und das Wichtigste war es, ihnen zu entgehen.

Hier spürte sie die Blicke der Krähen und Wiesel, aber diese standen auf ihrer Seite, das wusste sie. Auch sie fürchteten sich vor dem Bösen, dass den Wald seit einiger Zeit im Griff hielt. Immer mehr Tiere verschwanden, blutrünstig gerissen und in irgendeine Höhle verschleppt. Sie hatte es lange genug mit angesehen. Jetzt war es persönlich geworden.

Zeit, etwas zu unternehmen.

Mit schwer pochendem Herzen presste sie den Korb enger an sich. Auf einmal brach eine Gestalt durch das Gesträuch und sie stieß einen leisen Schrei aus. Der Fuchs zuckte zusammen und verharrte wie eingefroren. Er starrte sie aus aufgerissenen Augen an, die Ohren nach hinten gelegt und den Schwanz zwischen den Beinen eingeklemmt. Sein Körper bebte und sie wusste, dass sie auf dem rechten Weg war. Sie nickte dem Tier zu und wartete, bis dieses erkannt hatte, dass von ihr keine Gefahr ausging. Der Fuchs drehte den Kopf in die Richtung, woher er gekommen war, dann schenkte er ihr einen letzten durchdringenden Blick und verschwand im Dickicht.

Sie hingegen folgte der Spur, die er hinterlassen hatte. Tiefer in den Wald hinein.

Beständig wurde es kälter und sie zog den roten Mantel enger um den Körper, bis sie auf einmal stehen blieb. In der Dunkelheit hatte sie nicht bemerkt, wie sie sich immer weiter der Bergflanke angenähert hatte und nun stand sie vor einer Felswand, in der ein dunkles Loch prangte. Der Geruch von Blut und Verwesung schwoll ihr entgegen und raubte ihr für einen Moment die Sinne.

Angst erfüllte ihr Herz und sie wollte einfach nur umdrehen und zurück nach Hause laufen. Doch nein. Nicht nur für sich selbst, sondern auch für alle anderen Bewohner des Waldes musste sie dies hier tun.

Entschlossen streifte sie die Kapuze in den Nacken und festigte ihren Griff am Korb. Dann atmete sie tief durch und ließ zu, dass ihr Körper Kraft tankte aus dem Gestank in der Luft. So setzte sie den ersten Schritt in die Höhle.

Der Boden war glitschig von altem und neuen Blut. Der Geruch intensivierte sich mit jedem Schritt, doch sie zögerte nicht mehr. Nach einer Weile erhellte der ferne Schein eines Feuers den Gang. Wieder ging sie gebückt und schlich langsam voran. Als sich der Tunnel in eine Höhle weitete, verharrte sie im Dunkel. Die Flammen warfen unheimliche Schatten über die Wände, wo unzählige Trophäen hingen. Köpfe von Wildschweinen und Bären, Felle von Füchsen und Wiesel und abgetrennte Flügel waren nur ein Teil davon. Am Fuß der Wand standen hölzerne Käfige, die meisten leer.

Außer einem.

An dessen Rückseite gepresst lag ein schwarzer Wolf. Er zitterte am ganzen Leib und machte sich so klein wie nur möglich.

Der Anblick stach ihr ins Herz, sodass die Tränen ihr in die Augen schossen.

Da hob der Wolf auf einmal den Kopf und wandte sich genau in ihre Richtung. Als ihre Blicke sich trafen, stellten sich seine Ohren auf und sein Schwanz wedelte kurz vor und zurück. Sie hob einen Finger zu den Lippen und trat entschlossen in die Höhle. Eine Gestalt, knöcheltief versunken in Innereien und Blut, drehte ihr den Rücken zu, während sie sich über etwas beugte, was sie lieber nicht erkennen wollte.

»Hallo Oma«, sprach sie ruhig.

Mit einem überraschten Schrei wandte sich die Gestalt zu ihr um. Die grauen Haare waren zurückgebunden, standen jedoch in alle Richtungen ab. Das Gesicht war blutig und in den weit aufgerissenen Augen der Alten stand eiskalter Wahnsinn. Ein Grinsen breitete sich auf ihren Lippen aus und sie streckte ihr die Arme entgegen, ein langes, tropfendes Messer in der einen Hand.

»Kommst du, mir zu helfen?«, fragte sie mit einem kehligen Kichern.

Sie kniff die Augen zusammen und schüttelte langsam den Kopf.

»Ich komme, meinen Wolf zu holen«, sagte sie und zog die abgesägte Schrottflinte aus dem Korb.