Guten Tag und herzlich willkommen zum heutigen Speed Dating. Vielen Dank, dass Sie sich für unsere Agentur entschieden haben. Hier die Regeln: Sie bleiben stets sitzen, während sich die Kandidaten nach jeder Rune einen Sitz verschieben. Sie haben heute jeweils sieben Minuten Zeit, um sieben potentielle Partner kennen zu lernen. Wir wünschen viel Vergnügen.

 

Lena sass an dem kleinen runden Tisch, vor ihr ein Glas Weißwein. Um sie herum lag alles in Dunkelheit und nur eine helle Spotlampe war auf ihren Tisch gerichtet. Wie war sie hier her gekommen?

Ein leises Klingeln ertönte.

Der Mann, der sich auf dem Stuhl ihr gegenüber niederließ, kam ihr bekannt vor. Seine Züge und Augen schienen ihr vertraut, fast schon familiär.

»Hallo«, sagte er mit einem selbstsicheren Lächeln.

»Hallo«, antwortete Lena wie in Trance.

»Es gibt sieben Durchgänge, aber du weißt, dass du dich schon jetzt entscheiden kannst? Spar dir die Zeit mit den anderen Versagern.«

Lena blickte ihn stumm an. Sie wusste ja nicht einmal, dass sie sich entscheiden musste. Oder auf was sie sich hier eingelassen hatte.

 

Er strich sich durch das sorgsam frisierte Haar und präsentierte sich im Profil.

Nun wusste sie, woran er sie erinnerte. An sich selbst, wenn sie in den Spiegel sah. Wie er kokettierte, sich präsentierte. Aber nein! So hochmütig, wie der Kerl war sie nicht wirklich, oder?

Das Klingeln ertönte erneut. Der Mann vor ihr verschwand auf einen Schlag. Und tauchte sofort wieder auf. Es war derselbe Mann von der Gestalt her, aber seine Haltung war weniger selbstsicher. Er musterte sie abwägend.

 

»Wie war er?«, fragte er gerade heraus. »Der Kerl von vorhin? Besser als ich?«

Lena legte die Stirn in Falten und sagte nichts.

»Das dacht ich mir. Er sieht besser aus und kann besser mit Worten umgehen. Wie soll ich da mithalten?«

Lena lächelte leise. Sie kannte diese Worte, hatte sie sie doch schon oft zu sich selbst gesagt, wenn sie ihrer Schwester dabei zusah, wie sie jeden für sich gewann. Jule.

Für einen Moment war sie abgelenkt, sodass sie das Klingeln beinahe überhörte.

»Nummer drei? Weißt du, wie undankbar es ist, als dritter an der Reihe zu sein? Das ist der bescheuertste Platz überhaupt!«

Eine erneute Version von Lenas männlichem Selbst platzierte sich ihr gegenüber. Er würdigte sie keines Blickes, sondern wetterte weiter vor sich hin. Der Anblick erinnerte Lena an etwas. Auch sie war zornig gewesen. Kurz zuvor. Warum bloß? Sie überlegte angestrengt, aber es kam ihr nicht in den Sinn.

Klingeln.

Gemächlich setzte sich der nächste Kandidat ihr gegenüber. Er blickte sie aus müden Augen an.

»Hast du dich schon entschieden?«, fragte er.

Lena schüttelte den Kopf.

»Hätt ich auch nicht. Ich stell mir das anstrengend vor. Warum sollte man sich auch entscheiden?«

Lena blinzelte. Ja, warum sollte sie sich entscheiden müssen? »Ich weiss es nicht.«

»Nun, natürlich musst du dich entscheiden. So läuft es nun halt einfach«, sprach er weiter. »Aber ich beneide dich nicht. Diese Arbeit, das Abwägen.« Er lehnte sich im Stuhl zurück. »Viel zu viel … Aktivität.«

Entscheidungen. Sie hatte sich nicht einmal dazu aufraffen können, sich für ein Kleid für Jules Hochzeit auszusuchen, wie sollte sie hier eine Entscheidung treffen können?

Jules Hochzeit!

Träge beugte der Mann sich vor. »Du kommst nicht drumherum.«

Klingeln.

»Warum muss ich mich entscheiden?«, fragte Lena gerade heraus, als der nächste Kandidat Platz genommen hatte.

Er zog erfreut die Augenbrauen hoch.

»Gute Frage. Warum sollte man sich jemals entscheiden müssen? Warum kann man nicht einfach alles wählen? Alles Besitzen?«

Er klang, als meinte er es so, wie er es sagte.

»Ich will aber gar nicht alles«, protestierte Lena.

»Wirklich?«, fragte er mit einem süffisanten Lächeln.

Lena stockte. Langsam erinnerte sie sich, warum sie wütend gewesen war. Sie hatte sich gestritten. Mit ihrer Schwester. Über irgendeinen Besitz. Jule hatte nicht teilen wollen. Oder war Lena zu habgierig gewesen?

Klingeln.

Lena schüttete verzweifelt das Glas Weißwein in sich hinein. Der Geschmack erinnerte sie daran, dass sie bereits zuvor viel zu viel getrunken hatte.

Die Version welche sich nun vor ihr niederließ war mindestens doppelt so dick, wie es die anderen gewesen waren. Langsam dämmerte Lena.

»Völlerei«, sagte sie matt und schob das leere Glas von sich weg. »Was soll das hier?«

Ihr Gegenüber blickte sie aus traurigen Augen an. »Erinnerst du dich?«

»Woran? An den Streit? Dass ich weggelaufen bin?«

In dem Moment schlug die Erinnerung ihr ins Gesicht. Sie war gegangen. Wütend. Betrunken. Beleidigt. Sie war ins Auto gestiegen.

Klingeln.

Eine durchtrainierte Version mit entblößtem Oberkörper räkelte sich auf einmal auf dem Tisch.

Lena schreckte zurück.

»Hallo Süße«, schnurrte der Mann.

»Oh Gott«, entfuhr es ihr.

»Du darfst mich auch Adonis nennen«, lächelte er. »Oder vielleicht lieber Marc?«

Das Blut gefror Lena in den Adern. Marc. Jules Verlobter. Der wahre Grund für den Streit. Sie hatte ihn für sich gewollt. Ihre Begierde war stärker gewesen. Sie hatte ihre Schwester verraten.

Lena sprang auf die Beine.

»Was soll das?«, rief sie ins Schwarz. »Was tu ich hier?«

Sie erinnerte sich. Der Alkohol. Der Kuss. Der Streit. Die Autofahrt. Der Unfall.

Klingel.

Die Vorstellungsrunde ist vorbei. Bitte entscheiden Sie sich jetzt.

Lena riss die Augen auf und hob die Hände.

»Auf keinen Fall. Keiner von euch. Ihr seid Schuld an allem, was geschehen ist.« Tränen flossen über ihre Wangen.

Sie müssen sich entscheiden. Bitte fällen Sie Ihre Auswahl.

»Nie wieder fall ich einem von euch zum Opfer! Ich werde mich bessern!«

Sieben von sieben Kandidaten würden sich für Sie entscheiden. Bitte fällen Sie nun Ihre Wahl.

»Lasst mich hier weg! Es tut mir so Leid, Jule!«

Verzweifelt brach sie in die Knie.

»Sie murmelt etwas. Sie ist wach!«, erklang eine Stimme dich neben ihr. »Lena?«

Sie riss die Augen auf und blickte in Jules tränennasses Gesicht. Für einen Moment blickten sie sich an, dann breitete sich ein Strahlen auf Jules Gesicht aus und sie fiel ihr um den Hals.

»Gott sei dank. Du lebst!«