Ich mag dich

Das Blut schoss Lena ins Gesicht und sie faltete den kleinen Notizzettel sofort wieder zusammen. Zu spät, ihre Banknachbarin hatte bereits einen Blick darauf geworden und kicherte kindisch.

»Von wem?«, flüsterte Katja und warf neugierige Blicke umher.

Lenas Ohren brannten und sie umklammerte den Zettel, als hinge ihr Leben davon ab.

»Weiss nicht«, nuschelte sie.

Sie war erst gerade hergezogen und kannte noch so gut wie niemanden. Natürlich hatte sie mit allen in ihrer Klasse mal ein Wort gewechselt, aber sie war sich nicht einmal sicher, ob sie sich von allen die Namen hatte merken können.

»Lukas«, sagte eine Stimme von der Sitzbank hinter ihr und Katja presste die Hand auf den Mund, um ihr Quietschen zu dämpfen.

»O-M-G!«, flüsterte Katja. »Das ist der süsseste Junge im Fußballklub.«

Lena erinnerte sich. Seine Kumpels hatten sich ihr vorgestellt und ihn mit. Er selber hatte kein Wort gesagt, aber als ihn angelächelt hatte, hatte er es erwidert und sich sofort abgewandt.

»Alle Mädels stehen auf ihn.«

Vorsichtig ließ Lena den Blick wandern und wandte sich blitzschnell ab, als sich Lukas und ihr Blick trafen.
Den Rest des Unterrichts verbrachte Lena damit, etliche Szenarien in ihrem Kopf durchzuspielen.
Hatte wirklich Lukas den Zettel geschrieben? War es ein dummer Streich, den sie der Neuen spielten? Mochte er sie tatsächlich?

Sie hatten bisher nichts miteinander zu tun gehabt, aber sogar Lena waren seine tiefen, dunklen Augen und das süße Lächeln aufgefallen. Vielleicht mochte er sie ja wirklich?

Der Gedanke ließ sie auch nach der Schule nicht los und zu Hause boten die Gedankenspiele eine willkommene Ablenkung von den Streitgesprächen ihrer Eltern.

Am nächsten Tag fasste Lena einen Entschluss. Die letzten paar hundert Meter Schulweg waren dieselben für Lukas und so wartete sie an der entsprechenden Ecke auf ihn.

Als er sie sah, verlangsamte er seinen Schritt und starrte auf seine eigenen Füße.

»Hey«, sagte er aber, als er zu ihr aufgeschlossen hatte.

»Hey«, antwortete Lena. »Danke für deine Nachricht.«

Er hob den Blick und schaute sie abwägend an. Als sie ihm ein nervöses Lächeln schenkte, leuchtete sein Gesicht auf und er straffte die Schultern.

»Gern geschehen.«

Er kramte in seiner Tasche und zog einen weiteren Zettel heraus, den er ihr reichte.

Sie entfaltete ihn und wieder schoss das Blut in die Ohren.

Du hast tolle Haare

Nun war es Lena, die ein Dankeschön nuschelte und von da an teilten sie sich den Rest des Schulwegs.

Sie redeten nicht viel und wenn, dann über belanglose Dinge. Aber immer wieder fand ein Zettel den Weg zu Lena und immer machte ihr Herz einen kleinen Hüpfer. Gemäß Katja war sie bereits über beide Ohren verliebt, aber so schnell ging das dann doch nicht. Sie kannte Lukas nach wie vor praktisch nicht. Lena gestand sich ein, dass sie ihn vielleicht auch nur deswegen spannend fand, weil er sie von dem Stress zu Hause ablenkte. Ihre Eltern hatten gehofft, dass ein Umzug ihre Ehe wieder einrenken würde, stattdessen hatte es alles nur schlimmer gemacht.

Nach einem besonders nervenaufreibenden Abend war Lena sehr wortkarg. Sie merkte, wie unangenehm das Schweigen für Lukas war, aber er brachte es nicht über sich, zu fragen, was los war.

Nach der Pause fand sie einen neuen Zettel auf dem Pult.

Ich träum von dir

Lena blinzelte und las die Nachricht erneut.

»Uuuuuh, wie romatisch!« Privatsphäre war für Katja ein Fremdwort.

Romantisch… vielleicht. Aber wenn Lena ehrlich sein sollte auch ein kleines bisschen unheimlich.
Bis auf die Zettel waren sie bisher nicht wirklich persönlich geworden und Lukas war zu schüchtern, um von sich aus den nächsten Schritt zu machen. Sie dachte oft an ihn. Aber von ihm zu träumen ging nun etwas zu weit.

Sie warf ihm ein kurzes Lächeln zu, dann vergrub sie sich in ihre Hausaufgaben.

Als Lukas sie am nächsten Tag sah, brachte er nicht einmal eine Begrüßung heraus. Lena wusste, dass sie grauenvoll aussah, ungekämmt und mit geschwollenen, roten Augen.

»Ist… alles okay?«, fragte er.

»Meine Eltern. Ich hasse sie.«

Mehr brachte sie nicht heraus. Lukas hielt kurz inne, schloss aber schnell wieder zu ihr auf, als sie keine Anstalten machte darüber zu reden.

Ich liebe dich

Lenas Hände zitterten, als sie nach dem Mittag die Nachricht las. Ihr Herz flatterte zwar, aber das alles ging ihr doch deutlich zu schnell. Sie mochte Lukas, aber es war unmöglich, dass er sie schon lieben konnte. Oder?

Sie warf einen scheuen Blick über die Schulter zu seinem Platz, aber er war noch nicht dort.

Was sollte sie ihm dazu sagen? Erwartete er eine Antwort?

Am Nachmittag wurde ihr ein weiterer Zettel durchgereicht.

Lena beugte sich darüber, um ihn gegen Katjas Blicke abzuschirmen.

Ich tu alles für dich
Lena biss sich auf die Unterlippe.

Sie musste mit ihm reden. Sie war ihm ja keinesfalls abgeneigt. Vielleicht gingen sie einfach mal auf ein Date und redeten über persönlichere Dinge. Kleine Schritte.

Ihr Nacken brannte, aber sie wandte sich nicht zu Lukas um und sie ging ihm auch in der Nachmittagspause aus dem Weg. Erst nach Schulschluss merkte sie, dass er für die letzte Lektion des Tages gar nicht anwesend gewesen war.

Hatte sie ihn gekränkt?

Auf dem Nachhauseweg brühte sie über den Gedanken. Als sie zu Hause ankam, war die Haustür nur angelehnt.

Lena verdrehte die Augen. Es war nicht das erste Mal, dass ihr Vater mitten im Streit davon rannte.
Im Eingangsbereich brannte Licht, ansonsten schien das Haus verlassen. Eigentlich war ihr das recht, andererseits grummelte es unangenehm in ihrem Bauch. Die Tür stand offen und das sah ihrer Mutter nicht ähnlich. Da stieg ihr ein leicht süßlicher Geruch von Richtung Küche in die Nase. Der Raum lag im Dunkeln und Lenas Sohlen traten in etwas Klebriges, als hätte jemand Sirup verschüttet. Sie tastete nach dem Lichtschalter und stolperte rückwärts gegen den Türrahmen, als das künstliche Licht den Raum flutete.

Kein Sirup.

Blut.

Rotes, geronnenes Blut.

Sie presste die Hände auf ihren Mund, doch der Schrei ließ sich nicht ersticken.

In die Blutlache war ein Wort hineingeschrieben worden.

Alles