Der Fuchs kam zu spät. Nur eine Minute oder zwei, doch Lena amüsierte das, denn es passte zu ihm. Die meisten blickten auf und der Chef zögerte einen Moment in seinem Vortrag, während der Fuchs das Sitzungszimmer betrat, seinen stylischen Samtmantel über die Stuhllehne hängte und sich setzte.

Das goldblonde Haar hing ihm auf der einen Seite verwegen in die Stirn und kitzelte am anderen Ende seinen Nacken oberhalb des Hemdkragens. Ja, Fuchs passte schon. Wie «Silverfox», nur ohne silber. «Goldfox» sozusagen. Lena kicherte bei dem Gedanken. Sie fragte sich, wie alt er wirklich war, aber sie war überzeugt davon, dass sein junges Aussehen täuschte.

Er atmete leise, aber schwer, als ob er gerannt wäre. Durch die Atembewegungen seines Brustkorbes zeichnete sich die Andeutung von Muskeln auf dem weissen Stoff seines Hemdes ab. Unmittelbar über dem obersten Hemdknopf, in der Mitte des weit ausgeschnittenen Kragens, erkannte Lena den Ansatz einer vermutlich ziemlich dichten Brustbehaarung. Nicht die affige Sorte, sondern die männliche. Ein unauffälliger Blick auf seine Handgelenke liess dasselbe erahnen.

Ein breites Grinsen formte sich auf Lenas Gesicht, als ihr ein Gedanke kam. Mit einem Wink ihres kleinen Fingers hätte sie den Knopf einfach abfallen lassen können und er hätte sich bloss gefragt, wie das passiert war. Da sie sich in einer Teamsitzung befanden und sich alle auf den Chef konzentrierten, würde es sicherlich auch niemand merken. Doch Lena beherrschte sich. Sie wollte den Mann ja nicht blossstellen, sondern nur wissen, wie sein Körper wirklich aussah. Ob er so trainiert war, wie es den Anschein hatte. Nein, sie würde auf eine Gelegenheit warten müssen, bei der es nicht alle anderen mitbekamen. Schliesslich hatte sie sich vorgenommen, an ihrem bislang nicht vorhandenen Gewissen in diesen Dingen zu arbeiten.

Sie zwang sich, wegzusehen und liess den Blick durch den Raum schweifen, doch ihre Aufmerksamkeit endete wieder bei seinem Gesicht. Die gleichmässigen Züge, die kleine, runde Sexy-Professor-Brille… Der Fuchs hob kurz die Augenbrauen an. Da! Er tat es wieder! So wie seit dem ersten Tag, als er hier angekommen war.

«Lena?» Die Stimme des Chefs riss sie aus ihren Gedanken.

Lena wandte sich um und setzte eine interessierte Miene auf.

«Haben Sie dazu etwas beizutragen?», fragte der Chef.

Mit einem Seitenblick zum Fuchs registrierte Lena, dass er sie verschwörerisch anfunkelte. Nein, darauf würde sie nicht hereinfallen! Sollte er flirten, was er wollte, sie war nicht so leicht einzuwickeln!

«Nein», sagte Lena mit gespielter Unschuld in Richtung Chef. «Ich stimme Jenny zu.»

Jenny vertrat meistens die gleiche Meinung wie Lena, weshalb sie auch heute darauf vertraute. Doch als Jenny ihr einen leichten Tritt gegen das Schienbein versetzte, wusste Lena, dass etwas schiefgegangen war.

«Lena, wo ist Ihre Aufmerksamkeit heute?», sagte der Chef herausfordernd.

Nicht bei dir, hätte sie am liebsten geantwortet, aber das hätte die Sache auch nicht besser gemacht. «Tut mir leid», flötete sie deshalb. «Worum genau geht es denn?»

«Ideen für die bessere Vermarktung von älteren Liegenschaften.»

Ich dachte, das ist die Aufgabe des Fuchses. Aber Lena übte sich nur weiterhin im schlechten Pokerface.

Der Chef sah sie nach wie vor fragend an. Nach einer gefühlten Ewigkeit wandte er sich ab und blickte in die Runde. «Keine weiteren Anmekerungen dazu, in dem Fall?»

Betretenes Schweigen.

«Gut, nächster Punkt», sagte der Chef und faselte daraufhin irgendetwas von Küchenordnung.

Das war sowieso der grösste Witz, das interessierte nämlich schon lange keinen mehr. Lena widmete sich wieder dem Studium des schönen Gesichtes auf der gegenüberliegenden Tischseite. Sie hätte schwören können, er starrte unverhohlen zurück.

Irgendwann sagte der Chef «Gut, das war’s für heute» und die Mitarbeiter standen auf und eilten in die Küche, um Kaffee zu holen.

Auf dem Weg dorthin stupste Lena den Fuchs an. «Ich weiss, was du vorhast», sagte sie leise. «Wird nicht funktionieren.»

«Wovon redest du?», fragte er mit skeptischem Gesichtsausdruck.

«Tu jetzt nicht so», entgegnete sie.

«Wie tue ich denn?», wollte er wissen.

Lena blieb stehen und beschloss, ihn direkt zu stellen. Eine Affäre im Büro konnte sie nun echt nicht gebrauchen. Er hielt ebenfalls inne und sah sie ernst an.

«Versuchst du, mich zu verführen?», sagte sie.

Er wirkte überrascht, um nicht zu sagen schockiert. «Was? Nein! Wo denkst du hin?»

«Musst es gar nicht leugnen, ich merke so etwas», entgegnete sie eisern. So leicht würde er ihr nicht davonkommen! Sie war schliesslich nicht umsonst eine Hexe!

«Hör mal, Lena», sagte er sehr sachlich und gefasst. «Ich weiss echt nicht, wie du darauf kommst, aber ich kann dir versichern, dass ich absolut keine derartigen Absichten habe.» Er hob demonstrativ eine Hand in die Höhe. An seinem Finger glänzte ein Ring. «Falls es dir entgangen sein sollte, ich bin verheiratet. Und ich bin glücklich mit meiner Frau.»

Lena hätte gerne irgendeine schlagfertige Antwort darauf gehabt, aber ihr fiel einfach nichts ein.

«Was auch immer du denkst», fuhr er fort. «Es existiert nicht. Tut mir leid.» Damit schob er sich an ihr vorbei und reihte sich in die Schlange vor der Kaffeemaschine ein.

Lena hob den Zeigefinger und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Hemdknöpfe. Der oberste flog in hohem Bogen davon und zwei weitere lösten sich. Ja, er war sehr sportlich, das musste man ihm lassen. Der Fuchs sprang schockiert auf, machte eilig die beiden verbliebenen Knöpfe zu und sah sich dann verwirrt nach dem fehlenden um. Lena verkniff sich ein Grinsen und schwieg, als er sie hilfesuchend ansah.