Catarina drückte die schwere Holztüre auf. Ein Stoß kalter Luft und der Duft nach altem Weihrauch wehte ihr entgegen. Nach der grellen Nachmittagssonne wirkte das Innere der Kapelle wie eine Höhle. Nur am Altar vorne tanzten einige Staubmotten in bunten Lichtstrahlen der farbigen Glasmalereien.

Das Kirchenschiff lag verlassen da und Catarina atmete erleichtert auf. Schnell schloss sie die Türe, bekreuzigte sich mit dem geweihten Wasser und hastete dann mit gerafften Röcken zum Altar. Padre Enrico hielt wie üblich seine Siesta um diese Zeit. Er war ein guter Mann, bescheiden, herzlich und ein geduldiger Zuhörer. Doch in diesem Fall wollte sich Catarina ihm nicht anvertrauen. Das Thema war zu persönlich und nicht für die Ohren eines Mannes geeignet, auch wenn er ein Geistlicher war.

Sie war hergekommen, um Gott selbst anzuflehen. Langsam ließ sie sich vor dem Altar auf die Knie sinken. Die Kälte der schwarzen Steinfliese drang durch die Stofflagen ihrer Röcke. Es sprach für den Reichtum ihres Mannes, dass er eine Steinkapelle hatte errichten können. Alle anderen Nachbarn hatten ihre aus Holz gebaut. Juan Ramon Vega war ein wohlhabender Mann. Alles was er noch brauchte, war ein Erbe. Er war bereits zweifacher Witwer und immer noch kinderlos. Catarina war jünger als ihre Vorgängerinnen. Beinahe noch ein Mädchen. Frisch vom Mutterland, dem Schoß ihrer Familie entrissen, die kaum ihr Glück fassen konnte, dass ein so reicher Plantagenbesitzer wie Vega Interesse an ihr hatte.

Catarinas Träumereien von einem aufregenden Leben in der neuen Welt waren hier im heißen, stickigen Hinterland von Havanna schnell verflogen. Als Ehefrau des Plantagenbesitzers hatte sie nur eine Pflicht. Doch diese hatte sie bisher nicht erfüllen können. Ihr Mann wollte dementsprechend ausserhalb des Ehebettes kaum etwas mit ihr zu tun haben. Seine Grobheit hinterließ oft Spuren auf ihrer milchweissen Haut. Ausser dem Sklavenmädchen, das ihr beim Ankleiden half, sah jedoch niemand die Male.

Heiße Tränen tropften Catarina auf die Hände. Sie hatte wieder versagt. Ihre Monatsblutung hatte eingesetzt. Wieder hatte sein Samen keine Früchte getragen. Das hieß ein weiterer Monat voll Demütigung und Schmerzen. Sie wusste nicht ob sie das nochmals aushalten konnte.

Eine Hand schob sich in ihr Gesichtsfeld. Deren Haut war im düsteren Licht der Kirche beinahe schwarz. Catarina schreckte zurück. Eine Sklavin kauerte neben ihr. Auffordernd streckte sie der weißen Frau ein schmuddliges Tuch hin.

«Abwischen Tränen», forderte sie Catarina in gebrochenem Spanisch auf. Dabei lächelte sie so gütig, wie eine Matrone, die eines ihrer Kinder mit aufgeschlagenem Knie trösten musste.

Obwohl oder vielleicht gerade weil sie nicht mit den Sklaven der Plantage interagieren sollte, nahm die junge Frau das Tuch an und tupfte sich damit die Augen trocken.

«Danke», schniefte sie.

«Warum du weinen, Señora?»

«Das kann ich dir nicht sagen.»

«Warum nicht?»

«Weil du eine Fremde bist. Ich kenne nicht mal deinen Namen! Ich kann dir nicht einfach so meine Geheimnisse verraten.»

Die Frau hielt den Kopf leicht schräg, als Catarinas Redeschwall auf sie einspülte. Doch schließlich nickte sie ernst.

«Mein Name, Consuela. Jetzt wir nicht mehr Fremde.»

Consulea. Das war ein Spanischer Name. Viele der Sklaven hatten nach der aufgezwungenen Taufe einen Spanischen Namen erhalten.

«Nein», flüsterte Catarina deshalb. «Was ist dein richtiger Name?»

Dieses Mal dauerte das Schweigen länger. Consuelas Augen wanderten über den Altar und das filigrane Kreuz aus Holz und Gold, das dort hing. «Mein alter Name, Mábọlájẹ́», enthüllte sie.

«Ein schöner Name. Was bedeutet er?»

«Zerstöre nicht Erfolg.»

Catarina lächelte und die andere Frau fasste das als aufmunterndes Zeichen auf. «Wir nun Freunde, Señora Vega.»

«Nenn mich nicht Señora Vega. Ich bin einfach Catarina.»

Die Sklavin lachte kehlig auf. «Du weiß sein, Catarina, du immer mehr sein als ich. Aber wir sind beide Frauen.» Sie legte eine Hand auf ihre üppige Brust und tat dann das gleich bei der jungen Frau. Die Berührung erschreckte sie. Anstatt dass sie sie entfremdete, führte sie jedoch dazu, dass Catarina Mábọlájẹ́ vertraute.

«Ich bin wieder nicht schwanger», vertraute sie der Sklavin schließlich an. Sie streichelte über ihren flachen Bauch. «Ich bekomme kein Kind. Und ich weiss nicht ob ich es aushalte weiter mit ihm …» Catarina ließ den Rest des Satzes unausgesprochen.

Die Sklavin nickte mitfühlend. «Und nun du fragen Jesus?»

Catarina bejahte.

«Vielleicht solltest du Fragen Obatalá. Sie kennen sich besser aus mit Sorgen von Tochter.»

«Du willst, dass ich eine wilde Göttin anbete?», empörte sich Catarina.

«Nein nicht wilde Göttin, Obatalá ist Nuestra Señora de la Merced, die Schutzmantelmadonna.»

Catarina zog verwirrt die Stirn kraus.

«Aber wie kann das sein?»

«Gott ist Gott. Egal welcher Name er tragen. Eure Santos das Gleiche wie unsere Orishas sind.» Mábọlájẹ́ zögerte, dann fügte sie leise hinzu: «So wie du und ich das Gleiche. Wir Frauen sind, Schwestern.»

Catarina ließ sich auf ihre Fersen zurücksinken. Die an Blasphemie grenzende Frechheit der Sklavin hätte sie verstören müssen. Interessanterweise war das Gegenteil der Fall. Eben war sie sich völlig alleine vorgekommen, doch nun fühlte sie sich verbunden. Mit Mábọlájẹ́, mit der heiligen Madonna, mit jeder Frau, die es gab. Dieser Gedanke gab ihr Mut. Ihr Problem hatte sich noch nicht gelöst. Nun wusste sie jedoch, dass sie ihre Qualen nicht alleine durchstehen musste. Hunderte von Frauengenerationen hatten mit dem gleichen Los zu kämpfen gehabt; und überlebt. Aber Überleben alleine war nicht gut genug. Sie wollte ein selbstbestimmtes Leben führen, oder es zumindest den nächsten Frauengenerationen ermöglichen. Mit Mábọlájẹ́ und ihren Angehörigen konnte sie anfangen.

Catarina wischte sich die Tränen von der Wange, stand auf und bot der knieenden Sklavin die Hand hin, um ihr aufzuhelfen.

Wordcount: 910

Bildquelle