Quinn vermochte nicht zu sagen, was es genau war, aber etwas versetzte ihn in Alarmbereitschaft. Vielleicht war es das veränderte Zwitschern der Vögel im Geäst. Vielleicht ein Schatten, der sich hinter den Bäumen bewegte oder der kaum wahrnehmbare Geruch nach geöltem Leder, der ihm in die Nase stieg.

«Achtung! In den Bäumen!», brüllte er und zog sein gewaltiges Schwert, dessen Scheide er an den Sattel gebunden hatte. Der weisse Stahl strahlte wie eine Sonne im trüben Tageslicht. Auch seine Rüstung begann zu leuchten, nun, da er die Waffe gezogen hatte. Die aufgemalten, verschlungenen goldenen Muster und geometrischen Formen, erwachten zum Leben und bewegten sich bald so schnell, dass einem beim blossen Anblick schwindlig wurde. Genau das war ihr Zweck. Die Rüstung eines Paladins war mehr als nur ein Kunstwerk, sie war perfektionierte Handwerkskunst, hergestellt in einem jahrelangen Prozess von der Elite der Artisanengilde.

Kaum hatte er seinen Warnruf ausgestossen, sauste ein Schwarm Pfeile auf die Reisenden zu. Quinn manövrierte sein Pferd vor seine Fusssoldaten, um sie mit seinem Körper und Reittier zu schützen. Pfeile prallten gegen seine Rüstung, schrammten jedoch harmlos darüber. Die Satteldecke seines Pferdes war mit einer einzigartigen Metallfaden bestickt, der widerstandsfähig genug war, um Pfeile abprallen zu lassen. Ein kurzer Blick nach hinten versicherte ihm, dass die Männer sowie die Kutsche und ihr Insasse die Salve gut überstanden hatten.

Eine zweite folgte. Adrenalin jagte durch Quinns Adern. Sein Blutdurst war angestachelt und er wünschte sich, dass Sie endlich Mann gegen Mann kämpfen würden! Dies war seine Chance, sich vor dem Inquisitor zu beweisen. Dann musste er beim nächsten Einsatz keinen Geleitschutz mehr leisten, sondern durfte vielleicht endlich auf dem Schlachtfeld gegen die Heiden stehen. Er verstand ohnehin nicht, warum 30 Mann, davon 2 Paladine nötig waren, um einen Mann zu beschützen, der sich genauso gut alleine gegen etliche Feinde hätte verteidigen können. Niemand stieg in den Rängen des heiligen Ordens auf, ohne ein ausgezeichneter Kämpfer zu sein. Trotzdem wurde ein solches Aufheben um diesen Transport gemacht.

Quinns Gedankengang wurde abrupt unterbrochen. Zu beiden Seite der Strasse brachen Männer aus dem Unterholz. Endlich! Die Barbaren trugen Leder und hatten sich die Gesichter bemalt. Als Waffen hatten sie lediglich rostige Schwerter und gehärtete Feuerholzklingen. Keiner war beritten. Die Schützen sassen offenbar weiterhin in den Wipfeln und wählten sich ihre Ziele nun sorgfältiger aus.

«Fusssoldaten, schützt die Kutsche!», brüllte er und dirigierte sein Reittier mit blossem Schenkeldruck auf die eine Seite. Auf der anderen Seite befahl der andere Paladin das Gleiche. Quinn klappt das Visier seines Helmes herunter, stiess ein Gebet aus und trabte los. Die Distanz zwischen Waldrand und Strasse war nicht gross. Im Nu hatte er die ersten Heiden erreicht. Sein Schwert fuhr hinunter und frass sich fast ohne Widerstand durch die ungeschützten Körper. Kaum jemandem gelang es, seine Waffe gegen ihn zu heben. Ein, zwei schafften es, über seine Rüstung zu kratzen. Bevor Sie aber näher an ihn herangelangen konnten, stieg das Pferd des Paladins und schlug die Heiden nieder. Trotz der massigen Rüstung schaffte es Quinn im Sattel zu bleiben. Das Manöver hatte er jahrelang geübt.

Ein Schatten im Gesichtsfeld lenkte ihn ab. Er wirbelte sein Pferd herum, bereit den nächsten Gegner niederzumähen, als er in seinem Sattel erstarrte. Aus dem Unterholz brach ein Ungeheuer hervor. Es war bestimmt so gross, dass dem berittenen Paladin auf gleicher Höhe in die Augen blicken konnte. Sein Körper war komplett schwarz. Feurige Zeichen leuchteten darauf und begannen unter Quinns entsetztem Blick plötzlich an zu rotieren. Eine lähmende Erkenntnis durchzuckte ihn: Dies war ein Schattenpaladin. Jetzt erkannte er, dass das Ungeheuer eine ähnliche Rüstung trug wie er. Doch während seine eigene strahlte, schien die des Monstrums das Licht regelrecht aufzusaugen.

Hinter dem Visier leuchteten Rote Augen auf. Sämtliche Instinkte drängten Quinn dazu,  das Weite zu suchen. Stattdessen packte er sein Schwert fester. Die eigenen Fusssoldaten sowie die Barbaren waren zurückgewichen und machten dem Schattenpaladin platz. Dies war ein Kampf, in den sie sich nicht einmischen wollten.

Quinn sandte ein Stossgebet gegen den Himmel, galoppierte auf seinen Gegner zu und täuschte einen Vorhandhieb an. Als der Schattenpaladin wie erwartet seine eigene Klinge hob, um den Angriff abzuwehren, kickte Quinn ihm mit voller Wucht in die ungeschützte Brust. Der Schwung seines Pferdes und der gepanzerte Schuh reichten aus, um den Schattenpaladin straucheln zu lassen. Während dieser sein Gleichgewicht wieder sammelte, rutschte Quinn aus dem Sattel und kam auf dem Grund auf. Dies sollte ein Kampf Mann gegen Mann werden.

Der Schattenpaladin fasste sich schnell wieder und stürzte wütend vor. Sein Schwert war ein schwarzer, durch die Luft sausender Blitz. Quinn konnte gerade noch rechtzeitig seine eigene Klinge heben, als die beiden Waffen funken stiebend zusammenprallten. Der Aufprall jagte eine Schockwelle durch Quinns Arm. Zum ersten Mal kam ihm der Gedanken, dass er diesen Kampf verlieren konnte.

Es gelang ihm sein Schwert zu enthaken und startete mit einem heftigen Gegenangriff. Doch sein Gegner schien auf jede Offensive eine Antwort zu haben. Beinahe schon lässig verteidigte er sich. Dann fegte er die Abwehr des jungen Paladin mit einem heftigen Ausfall weg.

Quinn strauchelte hastig einige Schritte zurück. Schweiss lief ihm über das Gesicht. Der Herzschlag dröhnte in seinen Ohren, während seine Gedanken rasten, nach einem Ausweg suchten. Sein Gegner schien seine Kampftechnik genau zu kennen. Nur sein unorthodoxer Kick hatte vermocht, den Schattenpaladin zu überraschen. Das Ungeheuer war sein Gegenstück, dessen Rüstung genauso undurchdringlich und sein Schwert genauso scharf. Er musste ihn auf einem anderen Weg besiegen.

Quinn riss sein Schwert ein letztes Mal hoch, um einen Angriff auf seinen Kopf abzuwehren. Er sammelte seinen Geist, beschwor das Licht Gottes in sich und jagte dann mit seinem Geist wie ein Blitz in den Schattenpaladin hineinein. Dessen mentalen Barrieren waren nicht aktiviert und wurden von Quinns Lichtmahlstrom weggefegt.

Als Quinn seine Augen wieder öffnete, versagten ihm die Beine. Schwer stürzte er auf seine Knie und starrte auf den rauchenden Haufen vor sich. Der Schattenpaladin war nach hinten gekippt, alle Viere von sich gestreckt. Dieses Mal hatte er gesiegt. Doch Quinn wusste, dass dies nur der Anfang war.

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