Noch lagen die Scheiterhaufen ruhig da. Doch bald würden sie sich in lodernde Todesfallen verwandeln. Rian spürte die Angst wie einen Berserker in sich wüten. Die rauen, ihre Hände zusammenbindenden Taue, scheuerten an ihren Handgelenken, als sie sich leicht bewegte. Der Schmerz war allgegenwärtig, aber er würde bald in den Hintergrund rücken.

Rians Blick fiel wieder auf die Scheiterhaufen und ihr Mund wurde trocken vor Furcht. Es war nicht der Tod, den sie fürchtete, es war die Agonie des Feuers. Sie fürchtete, dass die Pein so allumfassend werden würde, dass sie die Haltung nicht mehr wahren konnte und Schande über sich und Ihre Familie bringen würde.

Ihre Eltern strahlten selbst jetzt noch Ruhe aus. Ihre Mutter hatte die Augen geschlossen und betete. Dabei war ihr Gesicht völlig entspannt. Im Schein der Feuer glänzte ihr rotes Haar wie Kupfer. Ihr Vater stand zwar Richtung Scheiterhaufen gewandt, aber auch sein Blick war nach Innen gerichtet. Obwohl sich noch zahlreiche andere Menschen auf der Lichtung befanden, fühlte sich Rian plötzlich unendlich alleine. Für einmal hätte sie sich Eltern gewünscht, die nicht nur an den höheren Zweck glaubten, sondern auch für sie da waren.

Hilflosigkeit drohte sie zu übermannen. Aber dann blitzte die goldene Tätowierung auf der Stirn ihrer Mutter auf. Rian hatte eine ganz ähnliche auf ihrer Stirn. Wenn sie sich konzentrierte, glaubte sie das warme Kribbeln der Macht zu spüren. Aber was nützte ihr diese Macht, wenn sie doch in wenigen Augenblicken auf dem Scheiterhaufen brennen würde?

Ein Schatten schob sich vor sie und die Feuer. Erschrocken riss sie die Augen auf. War es bereits so weit? Der Grossinquisitor stand vor ihr. Durch das Gegenlicht sah Rian nur seinen dunklen Schattenriss. Überdeutlich wurde sie sich bewusst, dass sich die Konturen ihres Körpers unter dem weissen Büsserhemd deutlich abzeichnen mussten. Zorn durchströmte sie und schien sich in der Tätowierung zu sammeln, so als ob jemand ein glühendes Stück Kohle in ihr Zentrum gelegt hätte.

«Das ist deine letzte Chance. Widerrufe und du behältst dein Leben», sagte der Inquisitor. Er hatte eine tiefe Stimme, die weit trug, obwohl er nicht laut sprach. Sie hörte sich sachlich an. Rian hätte es einfacher gefunden, wenn er böse gewesen wäre. Aber der Grossinquisitor war nicht böse. Er war einfach nur davon überzeugt, dass er im Recht war und Rian sowie ihre Eltern ein Plage für die Menschheit.

«Es ist klar, dass du keine Wahl hattest und in diesen falschen Glauben hineingeboren wurdest. Schwöre dieser Scharade nun ab und komm ins Licht meine Tochter. Drachen sind Nutztiere, keine mystischen Wesen, die verehrt werden sollen. Du würdest ja auch nicht den Ochsen verehren, der dir hilft das Feld zu pflügen, oder?»

Rian blieb stumm. Sie hatte gelernt, dass es besser war, sich nicht auf ein Gespräch einzulassen. «Es gibt nur einen Gott. Er ist formlos und allgegenwärtig. Ihn auf ein Wesen oder Gegenstand zu projizieren, ist falsch.» Das Mädchen starrte trotzig ins Gesicht der dunklen Gestalt, die Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst.

Schliesslich seufzte der Grossinquisitor. «Möge Gott Erbarmen haben und deine Seele nach den reinigenden Feuern in seinem Schoss aufnehmen.» Er schlug das Zeichen des Einen und wandte sich ab. Rian erwartete, dass er zu Ihren Eltern ging, aber offenbar wusste er, dass er bei ihnen nichts mehr bewirken konnte.

Tränen stiegen ihr in die Augen und stumme Schluchzer schüttelten sie. Sie war noch nicht bereit zu sterben. Ein Novize trat auf sie zu und löste das Tau, mit dem sie an einen Baum gebunden war. Während er einen Psalm vor sich hinmurmelte bugsierte er Rian zu einem der Scheiterhaufen. Schweiss rann ihr die Wirbelsäule entlang. Ihr Herz schlug so heftig gegen Ihren Brustkorb, dass sie das Gefühl hatte, es würde ihr gleich die Rippen sprengen. Und immer noch brannte die Tätowierung auf ihrer Stirn.

Verzweifelt bemerkte Rian, dass sie so an den Pfahl in der Mitte des Scheiterhaufens gekettet werden würde, dass sie Ihre Eltern nicht sehen würde. Sie flehte den Novizen an, ihr wenigsten diesen einen Trost zu lassen, doch er gab nicht nach. Der Grossinquisitor trat vor, die Arme zum Gebet erhoben. Seine Worte erreichten Rian jedoch nicht. Starr vor Angst fixierte sie die entflammte Fackel, die der Novize hielt.

Dann war das Gebet zu Ende und der Novize stecke die Fackel in den Haufen. Einen Moment lang geschah nichts. Dann kräuselte sich plötzlich ein dünnes Rauchband in den Himmel. Rasch wurde es dichter. Orangenes Glühen verwandelte sich in hungrige Flammen, die über das trockene Holz leckten.

Rasch vertrieb das Feuer die Kälte der Nacht und wurde heisser und heisser. Rian spürte wie ihr die Hitze die Härchen auf der Haut versengte. Instinktiv zog sie die Zehen ein, doch nun war das Feuer schnell. Über dem Tosen des Feuers hörte sie eine schauriges Klagen. Ihr Vater hatte das Lied der Wiedergeburt angestimmt. Auch ihre Mutter fiel mit ein. Ihre Stimme hell wie eine Glocke.

Als die ersten Flammen an ihren Beinen empor züngelten begann auch Rian zu singen. Während die Schmerzen sie verzehrten wurde sie Teil der Musik. Sie sang bis Rauch und Flammen ihren Körper vollständig umfassten.

***

Grossinquisitor Sibelius sah mit Genugtuung, wie die Flammen die drei Körper verzehrten. Doch sein Gehör musste ihn täuschen, denn noch konnte er den Gesang immer noch hören. Verwirrt blickte er zu seinen Novizen. Ihren Gesichtsausdrücken zu urteilen, ging es ihnen gleich.

Da deute jemand in den Himmel. «Wilde Drachen!», schrie jemand panisch. Sibelius folgte dem Blick und erkannte die mächtigen Leiber der Drachen am Himmel. Das Feuer spiegelte sich auf ihren beschuppten Körper. Es waren so viele. Aber sie waren zu spät. Sie hatten die Tragödie nicht verhindern können. Seine Lippen wollten sich eben grimmig lächelnd heben, als von den lodernden Scheiterhaufen drei goldene Phantome in den Himmel stiegen. Zuerst sahen sie aus wie lose Funken, doch nach und nach verdichteten sie sich, bis sie die eindeutige Gestalt von Drachen hatten.

Die drei strahlenden Drachen stiegen hoch zu ihren Gefährten, wo sie mit einem willkommenen Brüllen begrüsst wurden.