Das erste, was Eria wahrnahm, war die Hitze. Zusammen mit der fast stehenden Luft hatte sie das Gefühl, das ganze Gewicht des Erdreiches über sich zu spüren. Ein Kratzen in der trockenen Kehle brachte sie zum Husten. Das Betäubungsmittel hinterließ einen ekligen Geschmack in ihrem Mund. Leider hatte sie jedoch kein Wasser, um diesen wegzuspülen. Das war Teil der Prüfung. Alles was sie mit hinunter in diese dunkle Hölle hatte nehmen dürfen, war ihr Dolch, die Kleidung am Leib und das wichtigste: Ihre Magie.

Niemand konnte ihr diese nehmen. Sie war ein unzertrennbarer Teil von ihr. Noch schwach kämpfte sie sich auf die Beine. Nach einigen bewussten Atemzügen verflog das Zittern.

«Also gut. Los geht’s.»

Sie beschwor eine hell erstrahlende Lichtkugel herauf. Der Gang, in dem sie stand war niedriger als sie angenommen hatte. Sie konnte die Hand flach an die Decke über sich legen.

Das klaustrophobische Gefühl kehrte zurück. Je schneller sie sich auf den Weg machte, desto eher würde sie zurück ins Tagelicht gelangen. Oder beim Versuch dabei sterben. Denn immer wieder gab es Adepten, die die Abschlussprüfung nicht schafften. Die meisten wurden von den Lehrmeistern später geborgen, aber einige verirrten sich in diesem unterirdischen Labyrinth dermassen, dass ihre Gebeine nie dem Licht übergeben werden konnten.

Eria riss sich zusammen. Diese Gedankengänge würden sie nirgends hinbringen, also konzentrierte sie sich darauf, den Weg zu finden. Jemand hatte sie hier deponiert, das hieß, es musste Spuren geben. Sie untersuchte den Boden. Dieser bestand aus Felsen. Nur ganz wenig Sand hatte sich in den Ritzen gesammelt. Sie kniete sich hin und ließ das Licht heller erstrahlen. Es war nun so stark, dass selbst die Sandpartikel kleinste Schatten schlugen. So erkannte sie die Schleifspuren. Winzige Körner, die nicht mehr in den Ritzen waren, sondern aus ihrem Bett gerissen wurden. Langsam arbeitet sie sich in die Richtung vor und bestätigte sich, dass sie tatsächlich einer richtigen Spur folgte. Sobald sie sich sicher war, in die richtige Richtung zu gehen, dimmte sie das Licht wieder, da es sonst zu viel Energie verbrauchte.

Der Tunnel wand sich willkürlich nach rechts und links, offenbarte plötzliche Wendungen und Steigungen sowie Abstiege. Jedes Mal wenn sie eine Kreuzung erreicht hatte, orientierte sich Eria am Sand. Sie lief eine Ewigkeit. Dabei zehrte die Lichtkugel an ihrer magischen Ausdauer. Hier untertags ein Zeitgefühl zu haben, war fast unmöglich. Allerdings wurde ihr immer klarer, dass es keineswegs sicher war, dass ihre Magie reichen würde, bis sie es zur Oberfläche geschafft hatte. Und dabei hatte sie noch nicht eingerechnet, dass sie ihre Gabe benötigen würde, um sich zu verteidigen. Das würde ihre Reserve natürlich noch schneller aufbrauchen.

Eria reduzierte die Lichtkugel zur Größe einer Kerzenflamme, denn sie konnte sich einfach nicht dazu überwinden, in kompletter Dunkelheit weiterzugehen. Es gab einen Grund, warum sie Lichtmagierin war. Dunkelheit war ihr Antagonist.

Die Attacke kam, als sie sich das nächste Mal bückte, um den Boden zu untersuchen.

Im spärlichen Licht der Flamme nahm sie im letzten Augenblick ein kalkweißes, echsenartiges Monster mit blitzenden Krallen wahr, das auf sie zustürzte. Eria warf sich nach hinten und entging dem Tod durch eine aufgeschlitzte Kehle nur knapp. Instinktiv griff sie nach der Macht des Lichts. Die kleine Flamme dehnte sich explosionsartig aus, traf das Wesen mitten in der Brust und zerfetzt es in einem Ausbruch aus Licht. Während das Nachbild des explodierenden Monsters in ihren Augen brannte, regneten Gewebsfetzen und Innereien auf sie herab. Als die Dunkelheit schließlich zurückkehrte, war sie plötzlich viel durchdringender und bedrohlicher, denn jetzt hatten die Schrecken ein Gesicht.

Eria kämpfte darum, nicht zu erbrechen, als sie sich stinkende Fleischfetzen aus dem Gesicht klaubte. Alle Instinkte in ihr schrien danach, sich ihrer Gabe zu bedienen und ein Licht zu erschaffen. Nur ein winziges. Alles war besser als diese unheilschwangere Finsternis. Ihre Hand fuhr zum Griff ihres Dolches. Würde sie noch genug Zeit haben, ihn zu ziehen, wenn sie gleichzeitig eine Flamme beschwor? Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass dies nicht mehr ausreichte.

Sie musste sich entscheiden, denn ihre Reserven reichten entweder für Licht oder einen Angriff.

Ihr entging die Ironie der Situation nicht. Da war sie nun, beinahe eine voll ausgebildete Luxmagiern. Alles war noch fehlte, war diese Prüfung und nun stand sie in der Dunkelheit.

Ihr kam der Gedanke, dass dies kein Zufall sein konnte. Ihre Lehrmeister liebten diese Art von Lektion.

«Die Bastarde», fluchte Eria.

Es war klar, wie sie vorgehen musste.

Die Hand am Dolch tastete sie sich weiter voran durch die Dunkelheit. Je länger sie durch die tintige Finsternis drang, desto mehr schärften sich ihre anderen Sinne. Als der Angriff schließlich kam, wurde sie nicht mehr überrascht. Eria widerstand dem Drang, sich mit dem Licht zu verteidigen. Stattdessen wich sie der Attacke mit einem Schritt zur Seite aus. Viel Platz bot der enge Tunnel nicht, aber es genügte. Die stinkende Fresse der Bestie schnappte ins Leere. Gleichzeitig schlitzte die Magierin mit dem Dolch den empfindlichen Hals auf. Der gepeinigte Aufschrei bedeutete Erfolg. Trotzdem warf sich Eria auf den Rücken des Monsters, als dieses niederging und trieb ihm den Dolch in den Schädel. Ohne Licht lag sie auf dem sterbenden Wesen und spürte wie der Puls langsamer wurde und schließlich ganz verebbte.

Erst dann rappelte sich die angehende Luxmagerien sich auf und ging weiter. Zeit war schwierig abzuschätzen, wenn sie diese nicht an ihrer schwindenden Lichtmagie messen konnte.

Sie setzte einen Fuß vor den anderen und folgte dem leichtesten Lufthauch, den sie nie gespürt hätte, wenn sie ein Licht heraufbeschworen hätte und sich auf ihre visuellen Sinne verlassen hätte.

Sie rechnete mit weiteren Angriffen, aber es kamen keine mehr. Stattdessen wurde es nach einer gefühlten Ewigkeit endlich hell. Sie hatte die Prüfung überstanden.