Klimpernd landete der neue Schlüssel in der kleine Tonschale, welche Susan eigens dafür angeschafft hatte. Eine kleine Alles-was-sonst-grad-keinen-Platz-hat-Schale. Dort wo alles reinkam, was gerade keinen besseren Ort hatte aber dennoch schnell griffbereit sein sollte. Dass dieses Prinzip nicht aufgehen würde, war Susan bewusst, tat ihrem Wunsch, sowas zu besitzen und auf der Küchenzeile stehen zu haben, keinen Abbruch.

Die Wohnung war schön. Ein relativ grosszügiges Schlafzimmer und ein grosser Raum der sowohl Wohnzimmer, als auch Küche und Esszimmer beinhaltete. In der Mitte war eine Kücheninsel. Diese Wohnung war nicht besonders magisch. In dem Sinne, war sie stinknormale. Sie lag mitten in London, war nicht sehr sauber und um die Kaution zu hinterlegen, hatte sie sich von ihrer Mutter eine Vollmacht für deren Konto unterschreiben lassen.

Manchmal war es eben auch ein Glück, wenn die Mutter so sehr an der Flasche hing, dass sie zu gewissen Tageszeiten alles unterschrieb, was ihr in die Finger kam.
Nun hatte sie eine Wohnung. Mit etwas Glück würde sie jeden Monat die Miete zahlen können, ohne ihre Mutter weiter zu hintergehen. Nicht, dass es fatal gewesen wäre. Sie tat es immer wieder. Mittlerweilen waren die Gewissensbisse nur noch klein und ihre Mutter hatte wahrlich genug Geld. Geld, ein Anwesen, Kleider, Möbel, alles was man sich vorstellen konnte. Nur der Ruhm war längst abgeblättert, die Freunde längst verschwunden und der Tod kam schleichend, aber unabwendbar näher.

Die Wohnung die sie hier hatte war fern von perfekt im klassischen Sinne. Doch Susan hatte dem entgegengestrebt. Es war ihr eigenes zu Hause! Das hatte sie sich gewünscht.

Dennoch schaffte es kein Lächeln auf ihre zitternden Lippen.

Die Wohnung wirkte leer. Zu Hause – bei ihrer Mutter – gab es bestimmt duzende Möbel, die verstaubten und darauf warteten, eine neue Bestimmung zu erhalten. Aber Susan brachte es nicht übers Herz, diese hier her bringen zu lassen. Stattdessen hatte sie sich ein Sofa gekauft, welches ihr im Moment auch als Schlafstätte dienen sollte. Dazu die Tonschale und einige andere kleinere Dinge die sie brauchte. Sie hatte noch keinen Tisch, keine Stühle und auch sonst fehlte ihr noch so einiges, aber das war egal.

Sie hatte sich auf diesen Augenblick gefreut.
Weg von zu Hause! Raus bei ihrer Mutter. Ihre eigene Wohnung. Ihr eigenes zu Hause! Ihre eigene Zukunft!
Doch alles was sie in dem Augenblick fühlte, war erdrückende Einsamkeit.

Die Zukunft?

Die Zukunft lachte ihr höhnisch ins Gesicht. Sie wurde Ärztin und alle ihre Freunde waren in die Armee eingetreten. Es war nur eine Frage der Zeit bis man sie dazu zwingen würde, den Schritt genauso zu gehen. Vielleicht hatte sie eine Gnadenfrist, bis ihre Ausbildung zu Ende war und ihre Fähigkeiten der Armee auch tatsächlich von Nutzen waren. Nicht zum Leben retten. Nein, sie machte sich keine Illusionen. Weder in diesem, noch in einem anderen Sinne. Denn am Ende würde sie sich selbst zu diesem Schritt zwingen, um nicht aufzufallen.

Die Erkenntnis, war ihre eigene bittere Medizin. Aber sie kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, dass es der Wahrheit entsprach. Es war schon öfters passiert. Dass sie etwas tat, was sie eigentlich nicht wollte, nur um den Erwartungen zu entsprechen.

In der Tat, war die Ausbildung zur Ärztin, das Erste und Einzige, was sie für sich selbst und aus ihrem eigenen Willen heraus tat.

Wäre es nach anderen gegangen, würde sie nun für die Propaganda des Krieges arbeiten. Alle waren sie sich einig, dass sie dafür wie geschaffen war, mit ihrer grossen Klappe und den schneidigen Worten. Sie hatte immer den richtigen Spruch auf den Lippen. Ihre Zunge war immer Spitz und ihre Reden hatten eine ansteckende Art, welche mitreissen konnte, selbst wenn der Inhalt beim genaueren Hinsehen völliger Blödsinn war.

Aber sie wollte nicht mehr.

Sie wollte nicht mehr die Figur sein, die sie selbst geschaffen hatte.

Sie wollte helfen, nicht zerstören! Sie wollte heilen, nicht vernichten, untergraben oder zerschmettern mit ihren Worten. Sie wollte Gutes tun.

Ihre Beine versagten ihr den Dienst und gaben unter ihr nach. Sie sackte zu Boden und konnte die Tränen nicht mehr erwehren. All der Druck und die unerfüllten Wünsche und Träume ihres Lebens brachen über sie herein. Sie fühlte sich unglaublich allein, während sich die Schatten des Krieges, sich in eisiger Kälter um ihre Schultern legten. Wie ein dunkler, schwerer Mantel. Niemand war da, um ihr Schluchzen zu hören. Niemand war da, um zu sehen, wie ungraziös sie sich einmal mehr dem Weg fügte, den die Zukunft für sie bereithielt.

Der Krieg hoffte nicht auf ihre guten Taten.

Der Krieg wollte die nicht die warmen Worte.

Der Krieg lechzte nach ihren ergreifenden Phrasen, welche mit einem kalten Wind übers Land wehen und die Menschen, im eisigen Griff halten würden.