Wer kennt es nicht. Das Dilemma, welches in den Gedanken zu wachsen beginnt, wenn die Mama ein feines Tiramisu, eine gebrannte Creme, Schokoladenmousse oder eine sonstige süße Verführung, die den Verstand abschalten lässt, auf den Tisch stellt, obschon der Magen rebelliert und eigentlich keinen Platz mehr hergibt für eine solch verheißungsvolle Versuchung.

Die Schüssel steht da, geduldig wartend, wer denn nun als Erster einen Löffel des köstlichen Inhalts nimmt, während die anwesenden Personen in Gedanken abwägen.

Ein Schöpflöffel voll wäre höflich der Mutter gegenüber, die ihre Liebe und Zuneigung in den süßen Nachtisch gesteckt hat. Es würde allerdings kritische Blicke mit sich ziehen und Bemerkungen wie: Bist du wieder auf Diät… würden folgen.

Ein Löffel wäre auch absolut mit dem Völlegefühl, das der Magen schon seit dem dritten Gang an das Gehirn weiter sendet, vollkommen zu vereinbaren. Wenn wir ehrlich sind, wäre auch dieser eine Löffel schon zu viel.

Aber das will unser Verstand, den es nach diesem Nachtisch, dieser Götterspeise lechzt, nicht wahrhaben.

Denn eigentlich will man die ganze Schüssel für sich. Jede kleinste Spur des Nachtischs mit der Zunge aus der Schüssel lecken, auch wenn man danach wohl sogar vom Tisch weggerollt werden müsste.

Die Anwesenden tauschen Blicke, die Drohungen in sich bergen, aber auch Unsicherheit, wer es denn nun wagen sollte, als erster die Schüssel an sich zu nehmen um zu schöpfen.

Die Frage bildet sich im Kopf, ob es klug wäre, als erster die Schüssel zu nehmen, dann könnte man drei, vier Löffel voll schöpfen und es sähe noch so aus, als wäre in der Schüssel für all die anderen mindestens auch so viel.

Oder sollte man warten und als Letzter die Schüssel an sich nehmen, in der Hoffnung, alle anderen hätten sich zu sehr geniert, mehr als zwei Löffel zu nehmen, sodass für den Letzten noch die halbe Schüssel übrigbleibt.

So verharren die Mitglieder der Familie um den Tisch, warten höflich, bis jedem ein Kaffee hingestellt wird, und sich auch die Mutter hinsetzt und auffordert zu schöpfen, oder dies sogar selbst übernimmt.

Unter den gierigen Blicken wird die Schüssel aufgeteilt. Überall gleich viele Löffel in die kleinen Dessertschalen verteilt.

Aber halt!

Der Löffel war zuvor voller gefüllt als er es bei der nächsten Schale ist. In Gedanken setzt man bereits auf eine Dessertschale, wie auf der Rennbahn auf ein preisgekröntes Pferd, und lauert wie eine Raubkatze am Rand des Tisches, um schnell vorschießen zu können und die Schale, welche der optischen Täuschung nach am meisten Inhalt hat zu ergreifen.

Als dann der Dessert endlich verteilt ist, jeder glücklich über seiner Schale hängt und die süße Creme in sich löffelt, merkt man schnell, wie die anfangs schnellen, gierig geschöpften Löffel langsam weniger voll und die schnellen schlingenden Bissen weniger euphorisch und eher würgend werden.

In der Schale befindet sich zu viel der Creme. Dochman kann sich nicht eingestehen die halbfertige Schale stehen zu lassen, schließlich hatte man zuvor gemurrt und gemotzt, dass man gerne noch einen Löffel voll der verführerischen Kost hätte haben wollen.

Deshalb kämpfen sich schon bald sämtliche Personen am Tisch durch ihre Schalen, wie Herr Frodo durch ganz Mordor, nur um die Schlacht zu gewinnen und das Gesicht vor den anderen zu wahren.

Nachdem die Schale geleert, die Futtergier gebändigt und der Magen gefüllt ist, lehnt sich ein jeder zurück, streichelt sich den schmerzenden kurz vor dem Platzen stehenden Bauch und schwört sich, niemals mehr so viel in sich hinein zu schlingen.

Bis zum nächsten Nachtisc,h welcher die Anwesendenmit einer Gewissheit, so sicher wie die Nacht auf den Tag folgt, wieder vor dieses Dessertdilemma stellen wird.

Julia Storm, Oktober