Sand wirbelte auf, als der Lastwagen sich seinen Weg durch die Wüste bahnte. Die Strasse unter seinen Rädern war von tiefen Rissen durchzogen und am Horizont flimmerte die Luft unter der Hitze der Mittagssonne. Einige zertrocknete Sträucher zierten die Landschaft, die aus kahlen Bergen und Staub bestand; das einzige Zeichen von Leben, dem sie bisher auf ihrer Fahrt begegnet waren.

Im Laderaum des Lastwagens sass ein Mädchen. Sie hatte bodenlange, beinahe weisse Haare und Augen von einem hellen Goldbraun. Es waren Augen, die in ihrem Leben noch nie Sonnenschein gesehen hatten, denn sie kannten nur das künstliche Licht des Forschungslabors, in dem das Mädchen aufgewachsen war. Ihr ganzes bisheriges Leben hatte sie dort verbracht, ohne je die Wirklichkeit da draussen zu Gesicht bekommen zu haben. Es sei besser so, war ihr immer gesagt worden. Die Welt sei grausam und gefährlich und das Sonnenlicht würde Menschen wie sie sofort vernichten.

Das Mädchen zog ihre Knie an den Körper und schloss die Augen. Im Laderaum war es stickig und dunkel. Obwohl sie schon seit Stunden dagegen ankämpfte, konnte das Mädchen ihre Angst nicht unterdrücken. Es war nicht die Enge des Käfigs, in dem sie sass, oder die Finsternis, vor der sie sich fürchtete. Nein, diese beiden Dinge waren ihr bestens vertraut. Vielmehr war es die Ungewissheit, die ihr Herz rasen und ihren Knie zittern liess; die Ungewissheit vor dem, was nun kommen würde. Das Mädchen wusste nicht, was ihr geschah, als sie an diesem Morgen aus ihrer Zelle gezogen und in diesen Lastwagen verfrachtet worden war. Sie wusste nur, dass nichts mehr so sein würde wie zuvor.

Bremsen quietschten. Ein Ruck ging durch den Lastwagen, als er plötzlich von der Strasse abkam. Das Mädchen stiess einen erschrockenen Schrei aus und hielt sich schützend die Hände über den Kopf. Ihr Käfig wurde auf die andere Seite des Laderaums geschleudert, während der Lastwagen über den Sand rutschte und schliesslich gegen einen grossen Felsen prallte und ruckartig zum Stehen kam.

Das Mädchen, das grob gegen die Gitterstäbe des Käfigs gedrückt worden war, hielt die Augen immer noch geschlossen. Erst, als ihr klar geworden war, dass der Lastwagen sich nicht weiter vorwärts bewegte, wagte sie es, sie zu öffnen. Zuerst schien sich nichts verändert zu haben. Dann bemerkte sie auf einmal die Wärme auf ihrer Haut. Sie sah auf ihre Hände hinunter, die durch einen Spalt, aus dem feines Licht ins Innere des Laderaums fiel, hell erleuchtet. Das Mädchen zog ihre Hände sofort zurück und presste sich panisch mit dem Rücken gegen die Gitterstäbe, um dem Sonnenlicht zu entkommen. Tränen stiegen in ihr hoch, als sie realisierte, dass beinahe der ganze Käfig von hellem Licht durchflutet war. War das nun das Ende?

Wieder kniff sie die Augen zusammen und erwartete, sich gleich aufzulösen, wie es ihr immer prophezeit worden war. Sie spürte ein Kribbeln in ihren Händen und Füssen; dort, wo das Licht sie berührte. Doch sie löste sich nicht auf. Stattdessen verwandelte sich das Kribbeln plötzlich in ein wohliges, warmes Gefühl, das sich in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Als sie die Augen wieder öffnete, schnappte sie überrascht nach Luft. An jenen Stellen, an denen das Sonnenlicht sie berührte, hatten sich leuchtende Muster auf ihrer Haut gebildet. Das Licht schien geradezu durch die hindurchzugehen und sie von Innen zu erhellen, wie ein Stück Papier, das man gegen eine Taschenlampe drückte.

Auf einmal siegte die Neugier über die Furcht und das Mädchen begann zögerlich, sich nach vorne zum Licht zu beugen. Überall auf ihrer Haut bildeten sich dieselben glänzenden Muster, gefolgt von jenem wohltuenden Kribbeln. Vorsichtig legte das Mädchen ihre Hand gegen die Gitterstäbe. Sie spürte die Wärme unter ihren Fingern, gefolgt von etwas, das sich wie ein elektrischer Schlag durch ihren Körper anfühlte. Die Gitterstäbe zerfielen, als wären sie nicht viel mehr als Staub, und das Mädchen rutschte erschrocken einige Meter zurück. War sie das gerade gewesen?

Es war, als würde sie vom Licht regelrecht angezogen werden, denn nun konnte sich das Mädchen nicht mehr zurückhalten. Sie kroch auf den Spalt zu und schob die Plane mit zittrigen Fingern zur Seite. Dahinter erstreckte sich eine baumlose Landschaft, wie sie sie noch nie gesehen hatte. Doch was das Mädchen in diesem Moment viel faszinierender fand, war die Helligkeit und die Wärme, die sich nun plötzlich über sie ergoss. Da war Licht – überall nur Licht! Und es gab nichts, was sich je besser angefühlt hätte.

Das Mädchen sprang von der Landefläche des Lastwagens mit nackten Füssen in den Sand. Ihr Blick fiel auf einen Mann, der neben der Führerkabine stand und zu telefonieren schien. Sie beobachtete ihn neugierig. Als sein Blick auf das Mädchen fiel, liess er das Handy erschrocken fallen und zog blitzschnell die Pistole, die an seinem Gürtel hing.

»Stirb, du verdammter Mutant!«, schrie er. Mehr konnte er nicht sagen, denn das Mädchen hob die Hand und er zerfiel wie zuvor die Gitterstäbe. Zufrieden betrachtete sie die Muster auf ihrer Haut, die mit jeder Sekunde in der Sonne heller zu leuchten schienen.

Sie hatten gelogen, stellte sie fest. Das Sonnenlicht tötete sie nicht. Es machte sie lebendiger als je zuvor.

Das Mädchen lächelte. Dann setzte sie ihren ersten Schritt in die Freiheit.