Kedora straffte die Schultern und winkelte den Arm an, so dass die Lanze mit dem Bannerwimpel gerade in die Höhe ragte, als sie die Schritte durch den Marmorgang hallen hörte. Gerne hätte sie einen Blick auf den Ankömmling geworfen, seinen Bart und die exotische Kleidung, aber sie reckte das Kinn und hielt die Augen geradeaus gerichtet. Sie hatte davon gehört, dass die Adligen seines Volkes sich gerne in Lagen von teurem Tuch kleideten.

Sie war den Pallariern erst auf dem Schlachtfeld begegnet. Und dort trugen sie weitaus praktikablere Ausrüstung.

Als Margellus Balarius den Gang zum Thronsaal betrat, schweifte Kedoras Blick nur einen kurzen Moment auf ihn, bevor sie sich wieder zusammenriss.

Der Botschafter von Pallarien wurde von mehreren Leuten begleitet und die Gruppe wurde von Uleope, die rechte Hand ihrer Kaiserin von Vaelidor, angeführt.

»Kaiserin Aytie erwartet Euch bereits«, erklärte Uleope und trat an Kedoras Seite, wo sie die schweren Brokat-Vorhänge teilte.

Der Mann trat schweigend hindurch und Uleope sowie zwei vaelidorische Soldatinnen folgten ihm. Aus dem Augenwinkel erkannte Kedora, dass ihnen wiederum zwei Männer folgten, beide gekleidet in den Prunkrüstungen pallarischen Kriegern.

 Hinter ihnen fielen die Vorhänge zu und dämpften so alle Geräusche aus dem Thronsaal.

Kedora wollte ihre Haltung schon lockern, da bemerkte sie, dass eine weitere Person der Gruppe gefolgt war und nun etwas unschlüssig vor ihr stand.

Er war kleiner als die anderen, aber die Menschen in Pallarien waren generell nicht so groß gewachsen wie die Bevölkerung aus Vaelidor. Er trug jedoch auch keinen Bart, wie es die pallarieschen Männer taten, was Kedora zur Annahme veranlasste, dass er jünger war als die Soldaten, denen sie bisher begegnet war.

Sein Blick huschte zu ihr und wieder fort, außerdem verlagerte er sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, unauffällig, aber Kedora erkannte die Geste. 

Sie schmunzelte und entspannte sich. 

»Was ist mit dir?«, fragte sie und er hob fast etwas schockiert die Augenbrauen.

»Was?«, fügte sie hinzu. »Glaubst du, wir können nicht sprechen? Dann wären die Friedensverhandlungen da drin gerade ziemlich überflüssig.«

Er verzog die Lippen dabei zu einem säuerlichen Lächeln. »Man wird nicht jeden Tag unbewaffnet im Gang des Palastes des Feines stehen gelassen.«

Sie musterte den Jungen. Er trug keine Rüstung, sondern so etwas, was aussah, wie mehrere übereinandergetragene Tuniken in verschiedenen Farben, zusammengebunden von bunt bestickten Gürteln. Er war ganz klar ein Pallarier, von welchen sie unzählige auf dem Schlachtfeld erschlagen hatte ohne mit der Wimper zu zucken. Sie hatte hier die Überhand, er war ihr komplett ausgeliefert. Sie drehte den Speer in ihren Händen und sein Blick zuckte sofort zu der glänzenden Speerspitze.

»Warum bist du hier?«, fragte sie.

Er rümpfte die Nase.

»Mein Name ist Fario Balarius. Ich bin der Sohn des Botschafters.«

Automatisch straffte sie wieder die Schultern.

»Er nahm mich mit, damit ich etwas lerne, verbot mir heute morgen aber, bei den Verhandlungen dabei zu sein.«

»Warum das?«

»Wir sind uns nicht sonderlich einig in Sachen Politik«, erklärte er zynisch.

Kedora hob überrascht die Augenbrauen und versuchte, Farios Miene zu deuten und gleichzeitig zu hören, was im Innern des Thronsaals besprochen wurde. Beides erfolglos.

»Mein Vater plant keinen Frieden«, beantwortete Fario ihre stumme Frage. »Er will Vaelidors Ländereien, egal, was es kostet.«

Der Junge war mutig, keine Frage. Sich mit der Palastwache des Feindes über Politik unterhalten zu wollen zeugte von einem gewissen Schneid. Außerdem schien er kein Problem damit zu haben, sich gegen seinen eigenen, einflussreichen Vater zu stellen. Eine gewisse Achtung wuchs in ihr.

»Du bist anderer Meinung?«

Fabio zuckte mit den Schultern. »Ich sehe nicht ein, warum er herkommt, wenn er so oder so nicht beabsichtigt, Frieden zu schließen.«

Diese Worte pressten Kedoras Brust etwas zusammen. Keine hier mochte die Illarier. Aber sie alle waren des Kämpfens müde und auch Kaiserin Aytie wollte den Frieden beschließen. 

Noch viel mehr als zuvor wollte Kedora hören, was im Thronsaal besprochen wurde.

»Euer Kampfstil ist faszinierend.« 

Fario nickte zur Speerspitze.

»Danke«, sagte Kedora etwas überrumpelt.

»Falls es da drin nicht heute schon eskaliert, sind wir ein paar Tage hier«, meinte er. »Gibt es eine Möglichkeit mit euch zu trainieren?«

Kedora konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Ein Pallarier, der lerne wollte, wie eine Vaelidor zu kämpfen? Sie schätzte die Direktheit und Naivität dieses Jungen. 

»Vielleicht kann ich dir ein paar Kniffte zeigen«, sagte sie gönnerisch und irgendwie erwärmte es ihr Inneres, den Knaben strahlen zu sehen.

Trotzdem blieb da das ungute Gefühl. Dass es keinen Frieden geben würde, wenn es nach seinem Vater ging.

Kedora glaubte fest daran, dass beide Völker viel voneinander lernen könnten und die Neugierde des Jungen bestätigte dies.

»Dein Vater ist ein Sturkopf, was?«

Er nickte und sie verfielen in betretenes Schweigen.

Es vergingen mehrere Stunden, während denen nur undeutliches Gemurmel durch die Vorhänge drang.

Auf einmal schallten Rufe aus dem Thronsaal.

Kedora macht einen Satz durch den Vorhang, den Speer fest in den Händen, bereit auf eine Auseinandersetzung. Aber sie wurde nur von den großen, fragenden Augen der Soldaten, pallarisch sowie vaelidorisch, empfangen.

»Was ist los?«, fragte Fario, der neben sie getreten war.

»Junge, komm her!«, polterte Margellus Balarius von der Mitte des Raumes her.

Seine schmucken Tuchschichten waren durcheinandergeraten und seine Augen glänzten.

Kedora setzte den Speer auf den Boden, als sie sah, wie Kaiserin Aytie entspannt, mit seinem selbstgefälligen Lächeln in ihrem Sessel sass, einen hölzernen Humpen in der Hand.

»Vater?«, fragte Fario unsicher.

»Komm her, sag ich«, bestand Balarius, aber in seiner Stimme lag keine Bösartigkeit.

Er lachte sogar. »Das musst du probieren.«

Zögerlich setzte Fario sich neben seinen Vater auf die Sitzkissen.

Dieser legte seinen Arm um ihm und drückte Fario seinen Humpen in die Hand.

»Sie nennen es Bier«, erklärte der Botschafter leicht lallend. »Ich sage dir, es ist ein Gaumenschmaus!« Er deutete verschwörerisch auf die Kaiserin und beugte sich zu seinem Sohn. Obschon er zu flüstern versuchte, konnte Kedora seine Worte genau hören. »Diese Weiber kennen Geheimnisse, die uns völlig fremd sind.«

Kaiserin Aytie lächelte gönnerhaft und hob ihren Humpen. »Auf den Frieden, Balarius.«

»Auf den Frieden!«