«Die Mannschaft ist kurz vor der Meuterei. Ich merke es daran, wie sie den Kopf senken, wenn ich vorbeigehe. Hinter meinem Rücken wird getuschelt. Nur mein erster Maat, Olivander hat es gewagt, mich direkt auf das Problem anzusprechen. Noch ist er auf meiner Seite, doch wie lange noch? Wenn Sie ihn überzeugen, dann bin ich ein toter Mann. Dann zählen all die vergangenen Siege über die Piraten nichts und die gemeinsamen Abenteuer sind nichts mehr wert.

Die Gier, das Verlangen, mein Stolz; sie werden mein Untergang sein. Die Frage ist nur noch, ob ich alleine untergehe oder meine Männer mit in den Schlund reisse.»

Kapitän Jäger legte die Feder beiseite. Sein Magen knurrte. Seit Wochen waren sie auf halber Ration. Doch auch so würde ihnen bald die Nahrung ausgehen. Die «Freiheit» befand sich weit in unbekannten Gefilden, Wochen vom nächsten Hafen entfernt. Der gesunde Menschenverstand würde verlangen, umzukehren. Dann würden sie es vielleicht gerade noch rechtzeitig zurück schaffen.

Aber gesunder Menschenverstand besaß Jäger schon lange nicht mehr. Zu viele Abenteuer, zu viel Glück und Erfolge hatten ihm diesen geraubt.

Er langte gerade nach seinem Kelch mit schalem Wasser, als Tumult auf dem Deck vernahm. Im lethargischen Zustand, in dem sich die Mannschaft momentan befand, brauchte es viel, um sie wachzurütteln. Entweder die Meuterei fand jetzt statt oder sie hatten etwas gesehen. Jäger stand auf, rückte das Schwert an seinem Gurt zurecht und verließ seine Kabine.

Da sich niemand gleich auf ihn stürzte, als er ins Freie trat, schloss er einen Angriff auf sein Leben erst mal aus. «Was ist los?», bellte er in die Runde.

«Ein Sturm, Sir. Hugo hat einen Sturm südsüdostlich von uns entdeckt. Er hat goldene Blitze gesehen, Sir!»

Jägers Herz setzte einen Takt aus und schnell fummelte er ein Messingfernrohr aus seiner Tasche. Er wandte sich in die genannte Richtung und spähte angestrengt in den Himmel hinaus. Die Sturmfront hatte er schnell entdeckt. Sie ragte auf, wie eine schwarze Wand. Nervös ließ er seinen Blick weiterwandern. Ab und zu leuchteten die Wolken von Innen auf. Keine Frage, dort blitzte es, aber welche Farbe die Blitze wohl hatten? Sekunden verstrichen und seine Hoffnung schwand, da zuckte ein goldener Lichtbogen durch sein Sichtfeld. Den Donner konnte Jäger noch nicht hören, dafür waren sie zu weit entfernt. Er riss sich das Fernrohr aus dem Gesicht und begann Befehle zu brüllen. «Setzt die Sonnensegel. Ladet die Äthernetze! Los ihr faulen Hunde, auf eure Posten! Dies ist unsere Chance. Tanner bring uns über die Front, du weißt was zu tun ist. »

 «Du Bastard, hast es tatsächlich geschafft», sagte Olivander gerade so laut, dass nur Jäger seine Worte hören konnte.

«Noch ist gar nichts geschafft. Wir müssen zuerst den Fang unseres Lebens machen!» Jäger grinste. Die Anspannung der letzten Tage fiel von ihm ab. Wie ein altbekannter Freund hieß er das Adrenalin willkommen, das durch seine Adern pumpte.

Er spürte, wie sein Magen schwerelos wurde, als die Freiheit stieg. Die Sonnensegel ächzten, hielten jedoch stand. Nachdem sie ihre Reisehöhe erreicht hatten, gaben sie vollen Schub vorwärts. Unter ihnen brodelte bald der Sturm wie eine kosmische Ursuppe. Die Drehrichtung der Wolke gab ihnen ein Hinweis, wo sich das Auge befand. Je näher sie ihm kamen, desto schneller wogten die Reigen. Schließlich entdeckten sie es. Wie ein Höllenschlund führte es in die Dunkelheit.

Bevor sie in den Hexenkessel eintauchten begutachtete Jäger das Äthernetz eingehend. Es war das neuste seiner Art und einzigartig. Als er es gesehen hatte, hatte er sofort gewusst, was er damit fangen wollte.

Er ließ den Männern eine letzte Möglichkeit, ein Stoßgebet von sich zu geben, dann gab er den Befehl. Nur das Knarren des Schiffes und das Summen der Kristalle war zu hören, als sie langsam sanken. Um das Schiff herum wirbelten der Mahlstrom. Als der blaue Himmel über ihnen nur noch ein kleines, rundes Fenster war, ließ Jäger den Sinkflug stoppen. Nun würde sich zeigen ob seine Theorie richtig war.

Olivander brachte bereits den Gefangenen an Deck, den sie für den letzten Teil ihres Plans hierhin geschleppt hatten. Dem Jungen waren die Augen verbunden, sodass er nicht sah, wo sie sich befanden. Er zitterte vor Angst.

Jäger hatte jedoch nie vorgehabt, den Unglücksraben zu opfern. Dies war lediglich ein Ablenkungsmanöver. Rasch zog er sich an der Reling hoch. Er hörte entsetzte Schreie, als die Männer erkannten, was er vorhatte, doch niemand war schnell genug. Er stieß sich ab und segelte durch die Luft. Sein Umhang bauschte sich und das Schwert klatschte ihm unangenehm gegen die Seite. Der Fallwind zwang ihn dazu, die Augen zusammenzukneifen und er verfluchte sich dafür, dass er keine Schutzbrille trug. So konnte er nichts sehen!
Er fiel immer weiter und kein Wunder geschah. Bald würde er zu weit vom Schiff entfernt sein, sodass die Netze ihn nicht mehr rechtzeitig erreichen würde. Er schrie verzweifelt auf. Da umfasste ihn plötzlich ein warmer Luftstrom. Lachen ertönte um ihn herum. Sein Fall verlangsamte sich, bis er schließlich in der Luft schwebte.

«Jetzt!», schrie er, obwohl er nicht sicher war, ob ihn überhaupt noch irgendjemand hörte. Ein Herzschlag verging, dann spannte sich das in allen Regenbogenfarben schillernde Netz um ihn herum. Das luftige Lachen verwandelte sich in einen herzzerreißenden Schrei. Im Spannungsfeld des Äthernetzes, das nun sorgsam eingezogen wurde, wurde der Luftelementar nun sichtbar. Das Wesen sah aus wie ein Mädchen, mit langen ungebändigtem Haar und blauer, lumineszierender Haut. Angstvoll starrte es Jäger an.

«Was willst du von mir», erklang eine Stimme, so mächtig wie Donner in seinem Kopf.

«Die drei Wünsche, die mir zustehen», grinste Jäger.

Der Luftelementar starrte ihn wütend an, doch ihm blieb keine Wahl.

Mittlerweile hatte die Mannschaft das Netz eingeholt, und schwenkte es am Kranarm über das Deck.

«Dann sprich, Mensch», zischte das Geschöpf.

«Erstens: Ich wünsche mir, dass meine Männer sicher nach Hause gelangen. Zweitens: Jeder soll im Wohlstand bis ans Ende seines langen, glücklichen Lebens schwelgen. Drittens: Mach mich zu einem von euch, zu einem Luftelementar. Lass mich zum Inbegriff von Freiheit werden.»

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