»Das war’s mit dem Glückspilz, Jack«, murmelte Wesley und musterte kühl den sterbenden Mann, der vor ihm am Boden lag. Den rauchenden Colt steckte er zurück ins Halfter, dann ließ er sich neben Jack in die Hocke sinken. Das Leder seiner Stiefel knarrte leise bei der Bewegung.

Mit letzter Kraft langte Jack nach den drei Würfeln, die aus seiner Brusttasche auf den Boden gefallen waren und nun in seinem Blut lagen. Er verfehlte sie. Kraftlos ließ er die Hand sinken. Mit jedem Herzschlag sickerte das Leben weiter aus seinem Körper in den Staub.

Wesley sammelte die drei Würfel ein, die – einst unschuldig weiß und glatt – nun vollkommen mit Blut besudelt waren und sich seltsam warm und lebendig anfühlten. Er konnte die Macht und das Verlangen spüren, das von ihnen ausging. Sie lagen gut in seiner Hand, wie ein Versprechen, und in diesem Moment wusste er, dass er mit ihnen alles gewinnen konnte.

Die nächsten Tage verbrachte Wesley in den Saloons unzähliger Goldgräberstädtchen und spielte. Und er spielte erfolgreich. Innerhalb kürzester Zeit hatte er sein Vermögen vervierfacht. Er, der sonst in seinem Leben immer Pech gehabt hatte, fühlte sich endlich wie ein richtiger Glückspilz.

Auch heute schien das Glück auf seiner Seite zu sein. In der Runde war nur noch Bill übrig, alle anderen waren bereits ausgestiegen. Mit hochrotem Kopf sass er Wesley am Tisch im Saloon gegenüber, um die beiden herum hatten sich allerhand Schaulustige geschart, die das Spiel gespannt verfolgten.

»Nun wirf schon!«, polterte Bill und schlug mit der Faust auf den Tisch. Die Ader auf der Stirn und das Zittern seines schwarzen Schnurrbarts verrieten, wie angespannt er war.

Wesley wog die drei Würfel in seiner Hand und musterte sie. Sie waren schneeweiß und glatt, denn das Blut, das vor ein paar Tagen noch an ihnen geklebt hatte, war mittlerweile durch die vielen Spiele vollständig verschwunden. Entschlossen ballte er die Faust um sie.

»Macht mich glücklich«, flüsterte er und ließ die Würfel fallen.

Sie sprangen in alle Richtungen, drehten sich in der Luft mal schneller, mal langsamer. Ein Tanz, dem Wesley ewig zuschauen konnte. Als sie liegenblieben, musste er nicht hinschauen, um zu sehen, dass er gewonnen hatte. Das hörte er am überraschten Raunen der Zuschauer und an Bills ungläubigem Schnauben.

»Die sind doch gezinkt!«, rief er aus und schlug erneut mit der Faust auf die Tischplatte. Er stemmte sich umständlich aus seinem Stuhl hoch, griff über den Tisch und packte Wesley am Kragen. Die Zuschauer machten hastig einen Schritt zur Seite und murmelten aufgeregt.

»Gib’s zu, du Scheißkerl. Du bescheißt!«

Spucke traf Wesley im Gesicht und er kniff die Augen zusammen. So, wie Bill reagierte, wunderte er sich, dass dieser noch nicht den Colt gezogen hatte. Wahrscheinlich hielt ihn lediglich die Anwesenheit des Sheriffs davon ab, im Saloon eine Schießerei anzuzetteln.

Die Wut, die von Bill ausging, war beinahe mit den Händen zu spüren. Wesley warf einen Blick auf die Würfel, die schneeweiß und unschuldig auf der Tischplatte lagen, und darauf warteten, dass etwas geschah.

Wesley hob abwehrend die Hände und versuchte, Bill zu beschwichtigen.

»Sie sind nicht gezinkt. Schau sie dir doch an!«

Bill riss den Blick von Wesley los, lockerte seinen Griff und langte nach den Würfeln. Er ließ sie ein paar Mal auf die Tischplatte fallen. Jedes Mal zeigten sie eine andere Augensumme und kein auffälliges Muster war in den Würfen zu erkennen.

»Siehst du?« Wesley lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Ich bin halt einfach ein Glückspilz.«

Bill ließ sich mit einem Stöhnen in den Stuhl zurückfallen. Unter seinem Gewicht ächzte das Holz. Jemand tätschelte ihm aufmunternd auf die massigen Schultern.

»Dann nimm die Kohle und verschwinde. Ich will dich und deine Würfel nie wiedersehen.«

Die Drohung in seiner Stimme war unüberhörbar.

Wesley ließ keine Zeit verstreichen. Mit geschickten Fingern steckte er sich die Würfel in die Brusttasche, sammelte die Geldscheine und die paar Münzen ein und ließ sie unter seiner Weste verschwinden.

Er nahm seinen Hut vom Tisch, setzte ihn auf und tippte zum Gruß an die Krempe, es war eine fast höhnische Geste. Dann drehte er sich um und verließ den Salon.

Draußen empfing ihn ein wunderbarer Tag. Er band sein Pferd los, stieg in den Sattel und verließ die kleine Goldgräberstadt gen Norden. An einem kleinen Fluss legte er eine Pause ein, tauchte die Hände in das kühle Nass und schöpfte sich eine Hand voll Wasser ins Gesicht.

»Wesley!«

Erschrocken fuhr er herum. Hinter ihm stand Bill, mit hochrotem Kopf und zitterndem Schnurrbart. Seine Brust hob und senkte sich, die Flanken seines Pferdes zitterten.

»Ich glaube nicht, dass du ein Glückspilz bist. Ich glaube, du bist ein Betrüger.«

Wesley war zu langsam, um nach dem Colt zu greifen. Er spürte einen reißenden Schmerz in seiner Brust, und wie sich Wärme und gleichzeitig eine Kälte in seinem Körper ausbreitete.

Er fiel auf die Knie und fing den Sturz vornüber mit den Händen ab. Blut tropfte auf den Boden und ihm begannen die Sinne zu schwinden. Es fühlte sich an, als würde etwas aus ihm herausgerissen, als er sah, wie erst der eine, dann der zweite und schließlich der dritte Würfel aus seiner Brusttasche auf den blutgetränkten Boden fiel. Einst schneeweiß und unschuldig, waren sie jetzt rot von seinem Blut, und er spürte das Versprechen, das sie von sich gaben. Mit zitternder Hand tastete er danach, griff jedoch daneben und kippte zur Seite. Mit jedem Herzschlag wich das Leben mehr aus seinem Körper.

Er nahm nur noch am Rande wahr, wie Bills Stiefel vor seinem Gesicht auftauchten. Das Leder knarrte, als sich dieser in die Hocke sinken ließ. Gemächlich sammelte er die Würfel ein.

»Das war’s mit dem Glückspilz, Wesley«, knurrte er und drehte die blutbesudelten Würfel in den Händen. Sie fühlten sich warm und lebendig an.

»Jetzt bin ich an der Reihe.«

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