Joe Callaghan, ein armer 15-jähriger irischer Junge in Boston, findet auf seinem Heimweg von der Werft in die dunkle Erdgeschosswohnung seiner Eltern und drei jüngeren Schwestern eine zerfledderte Zeitung am Strassenrand. Er ist ein aufgeweckter Junge und kann gut lesen. Rechnen kann er auch, das braucht er für das richtige Vorbereiten der Bretter, die als Planken in das Schiffsgerippe eingesetzt werden. Könnte er dies nicht, hätte ihn der Schiffsbauer nicht vor vier Jahren in die Lehre genommen. Ja, Joe ist tüchtig und hat die Lehre so gut bestanden, dass ihn der Meister behalten hat und er als Geselle zwei Mitarbeiter führen kann. Das Schiffs-bauhandwerk ist zwar nicht sein Traumberuf, er weiss aber nicht, was er sonst machen sollte. Iren hatten es schon immer schwierig.

Joe schnappt sich die drei von der Zeitung übriggebliebenen zerrissenen Seiten und stopft sie in seine weite Hose, welche er mit einem Lederriemen zusammenhält. Nach dem kargen Nachtessen, bestehend aus zwei Kartoffeln und trockenem Brot, findet er hoffentlich im Schein einer Kerze einen Moment, in dem er das Geschriebene lesen kann. Er hat Glück, seine Eltern sind so müde, dass sie sich gleich nach dem Nachtessen in ihre kleine Kammer zurückziehen, seine ein Jahr jüngere Schwester Mary räumt und wäscht das wenige Geschirr ab.

Tatsächlich, da hat jemand in Kalifornien Gold gefunden. Nugget nennt die Zeitung diese Goldklumpen. Wann war das genau? Am 24. Januar, die Zeitung ist vom 20. Februar, jetzt haben wir anfangs März 1848. Joe liest diese Information ein zweites und ein drittes Mal, der Rest interessiert ihn gar nicht. Könnte er auch Gold finden? Wie müsste er das anstellen? Er wird am Sonntag nach der Messe Pfarrer Ryan fragen, der weiss so Vieles und konnte ihm bisher auf seine Fragen stets antworten. Es wird das erste Mal sein, dass der Geistliche keine Ahnung hat.

Der Zeitungsausschnitt lässt Joe das ganze Jahr nicht mehr los und er sieht auch, wie viele Menschen aus Europa im Bostoner Hafen von Bord kommen und sich den zwischenzeitlich regelmässigen Trecks Richtung Westen anschliessen. Es stimmt, meistens sind das Farmerfamilien und deren Ziele sind näher, aber all die Alleinreisenden? Joe hat sich geografisch schlau ge-macht und er weiss, dass der Landweg über hohe Berge und Wüsten geht oder der Schiffsweg über Cap Hoorn, was wegen der häufigen Stürme sehr gefährlich und für ihn sowieso unerschwinglich ist. Von den Eisenbahnen, die Richtung Westen gebaut werden, hat er gehört, vielleicht könnte er beim Bau mithelfen und so seinem Gold näherkommen. Ab der Endstation würden immer noch etliche Meilen und Hürden zu überwinden sein.

Seinen Eltern traut er die sich konkretisierenden Gedanken nicht mitzuteilen, sie würden den zweiten Ernährer der Familie verlieren. Besser vielleicht, noch ein Jahr zuzuwarten bis Mary ihren Ben geheiratet hat und aus dem Haus ist, dann kann Kathy, die nächste, bei der Arztfamilie in der Nachbarschaft im Haushalt mithelfen und es bleibt nur noch Anny, die ist dann sieben und wird Mutter entlasten können, damit diese mehr Näharbeiten übernehmen kann.

Joe versucht etwas Geld zu sparen. Er arbeitet sehr fleissig und bekommt mehr Lohn und es gelingt ihm tatsächlich, etwas Kleingeld auf die Seite zu legen.

Ewig verschweigen kann Joe sein Ansinnen nicht und seine Familie spürt, dass ihn der Schuh drückt. Endlich rückt er damit raus und provoziert einen Hauskrach erster Güte. Vor allem Vater tobt, obwohl sowas wie Stolz in seinen Augen blitzt, Mutter schweigt, die Schwestern weinen. Als ob er daran Schuld wäre, dass es da drüben Gold gibt.

Schliesslich lassen ihn seine Eltern nach 13 Monaten Mitte April 1849 ziehen, nicht aber ohne ihm jenste Versprechen abzuringen. Er ist zuversichtlich und macht sich nach tränenreicher Verabschiedung auf den Weg. Mutter hat ihm eigens starke Schuhe besorgt, die sind zwar getragen, aber das ist gut so und er erhält keine Blasen, Vater steckt ihm etwas Geld zu. Im April 1949 bricht der Treck auf nach Baltimore, wo er die Teilstrecke zum Ohio im Zug machen wird. Joe hat dem Bahnunternehmen geschrieben und sein Interesse an Arbeit beim nächsten Bahnabschnitt angemeldet, – keine Antwort. Im Treck macht er sich nützlich und repariert defekte Planwagenteile, die Farmer können ihn aber nur mit einem Schluck Brandy oder einer Brot-kante entlöhnen. Sicher ist, er rückt dem Westen und seinem Gold ganz langsam näher.

Kurz vor Weihnachten 1850 erhält Familie Callaghan einen Brief. Zugegeben, es ist nicht das erste Schreiben, aber das bisher vermutlich wichtigste. Joe ist im heissen Juli abgezehrt in Sacramento angekommen. Er hat sich tatsächlich für einige Monate im Eisenbahnbau anstellen lassen, kein Wunder, die Arbeiter hatten ihr Werkzeug an Ort und Stelle liegenlassen und sind Richtung Westen davon. Die Arbeit war eine Mords-Schinderei und die Umstände im Camp schrecklich, sie schliefen draussen, hatten kaum Zelte und am Essen war auch gespart worden.

Er hat während seiner Zeit auf dem ersten Treck und bei der Eisenbahn die nach Westen ziehenden Mitmenschen beobachtet und einschätzen gelernt. Ein kleinerer Goldsuch-Treck mit leichteren Fahrzeugen ist schneller und er wartet, bis er sich einem solchen und vertrauenswürdigen Mitreisenden anschliessen kann. Seiner besteht aus einer walisischen Pfarrersfamilie, einem französischen Artistenpaar, zwei Händlern mit Familien, vier Deutschen, einem Polen und zwei routinierten Führern, einer davon Indianer. Sie sind gut vorangekommen und hatten nur wenige Pannen und relativ gutes Reisewetter, aber das Trinkwasser war dennoch knapp geworden.

Joe hat sich in Sacramento gründlich umgeschaut und schnell gemerkt, wer hier das grosse Geld mit dem Gold macht. Er darf bei einer Witwe wohnen, welche ihren Mann auf den Goldfeldern verloren hat. Das ihr gegebene Gold hat gereicht, ein kleines Holzhaus zu errichten und einen grossen Backofen, in dem sie Brote für die Durchreisenden bäckt. Die reizende Tochter ist auch nicht zu verachten.

Joe sieht sich bereits als reicher Unternehmer, er ist in eine Sägerei/Zimmerei eingetreten und für die Fertigung von Schaufelstielen verantwortlich. Die Produktion der Stiele hat er bereits mit einfachen Gerätschaften verbessert und beschleunigt, aber er weiss: Seine Beharrlichkeit und sein Fleiss wird ihn zum wohlhabenden Mann machen, auch ohne direkten Kontakt zum Gold.

Maria von Ballmoos, 10.09.2018

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