Bis zur letzten Krapfe
»Siehst du, es ist wie mit dieser Sultaninenkrapfe hier«, meinte der alte Marek und zeigte mit einem spöttischen Grinsen auf das Gebäck, das ich mir gleich in den Mundschieben wollte.
»Du weisst nie, ob sich darin der abgehackte Finger des Bäckers befindet!«
Ich musterte Marek ungläubig. Dieser wusste jedoch genau, wie leicht mir der Appetit zu verderben war. Tatsächlich kam ich nicht umhin, einen argwöhnischen Blick auch auf das vor meiner Nase schwebende Gebäck zu werfen. Mit seinem Zuckerüberguss sah es jedoch nicht danach aus, dass es mehr Finger enthalten könnte, als meine, welche es in der Luft schweben liessen.
»Oder Maden! Viele windende und kringelnde Würmer!«, Marek sah mich verschwörerisch an, »Vielleicht ist die Füllung verdorben und schon schimmlig geworden.«
Das Grinsen auf Mareks Gesicht bekam einen Zug von Siegesgewissheit. Da klatschte ihm die stämmige Kristyna eine.
»Wirst wohl dem Jungen seine Krapfe gönnen, du oller, alter Nimmersatt!«
»Ich habe dochnur meinen Spass, Kristyna«, jammerte der Geschlagene rechtfertigend, sich etwas zur Seite beugend, »der Junge ist doch viel zu verweichlicht, wenn er schon beim Wort Hundekacke die Lust am Essen verliert!«
Unterdessen hatte die Krapfe wieder ihren Platz vor mir auf dem Tisch gefunden, während ich sie etwas angewidert musterte. War das dort etwa schon eine sich kringelnde Made?
»Hast du schonmal gesehen, was für Haufen der Dogge des Grafen wirft?«, fragte mich Marek mithochgezogenen Augenbrauen und einer leicht gehobenen Hand um möglichen Folgeschläge der kräftigen Magd zu entgehen.
»Also gut, du hast gewonnen, Marek«, gab ich auf und schob ihm das Gebäck rüber, »du darfst meine Krapfe auch noch haben. Dobré chutnání bei der fingerhaltigen Maden-Kacke-Krapfe!«
»Du gibst viel zu schnell auf, Elia«, tadelte mich Kristyna und schnappte dem verdutzen Marek die Krapfe vor der Nase weg.
»He!«, entrüstete sich der Alte laut und schlug ungelenk mit der Hand nach dem Gebäck, traf jedoch nur seinen eigenen Trinkkrug, der daraufhin zerklirrend auf den Steinboden fiel.
»Misere!«, fluchte er, sich das Biergebräu von den Hosen wischend. Und zu Kristyna schimpfte er:
»Du magst auch niemandem etwas gönnen, du störrische Hexe!«
»Geschieht dir ganz recht, alter Knöterich!«, gab die Magd nicht faul zurück und setzte die Krapfe wieder vor mir auf den Brettertisch.
»Die hier ist die deine, Junge. Der gute Nemec hat uns allen eine aus Prag mitgebracht. Und Marek hat seine schon gegessen! Also lass dich von ihm nicht ins Boxhorn jagen.«
Noch immer vor sich hin schimpfend, sammelte Marek von seinem Stuhl aus die Scherben am Boden zusammen und legte sie vor sich auf den Tisch. Er tat mir etwas leid – ich wusste, es war sein Lieblingstrinkkrug gewesen. Der mit dem tanzenden Bären vorne drauf. Zudem war mir die Lust auf die Krapfe beim besten Willen wirklich vergangen.
»Nein, schon gut«, meinte ich schüchtern, »Marek darf die letzte Krapfe haben.«
»Du bist ein Goldjunge«, strahlte der listige Alte über beide Ohren und nahm behutsam das Gebäck entgegen. Kristyna schnaubte nur. Sie konnte wirklich unerbittlich sein. Doch ich war nun auch schon genug lange Teil des Gesindes in diesem Schloss, umzu wissen, wie man Spiesse umdrehte:
»Ich habe mal eine Geschichte gehört von einem Bäcker, der tat – da er keine Sultaninen mehr hatte – Geissenkot in die Krapfenfüllung!«
»Geissenkot?«, lachte Kristyna auf, »wie eklig!«
Sie machte eine übertriebene Grimasse zu Marek.
»Netter Versuch, Junge«, meinte dieser nur, »doch, um mir den Appetit zu verderben, musst du schon früher aufstehen. Zudem, diese hier vom besten Bäcker aus Prag stammt, nicht aus irgendeinem böhmischen Kaff!«
»Ich weiss ja nicht«, machte Kristyna wichtig, »Nemec meinte nur, der Orientfahrer sei nun schon für über drei Monate überfällig in Prag. Langsam würden die Gewürze ausgehen!«
»Ich habe doch schon eine gegessen«, lächelte Marek stoisch, »Geissenkot hätte ich bemerkt.«
»Nun, das ist doch eben das erstaunliche an der Geschichte«, tat ich gespielt ernst, »viele haben es erst gar nicht gemerkt und hätte nicht eine feine Dame die Krapfe erst mit Messer und Gabel säuberlich aufgeschnitten, wäre es so ohne weiteres auch gar niemandem aufgefallen!«
»Na, dann solls mir nur recht sein!«, lachte der Alte und stopfte sich das überzuckerte Ding ganz in den Rachen.
»Nun, Elia, wenigstens hast du’s versucht«, zwinkerte Kristyna mir zu und goss von der Milch in meinen Krug. Da spie Marek auf einmal die ganze Krapfe wieder auf den Tisch.
»Ist das die Möglichkeit«, würgte er angewidertund übergab sich neben seinem Stuhl. Vor ihm, in der zerkauten Krapfe, lag ein runzeliger Finger!
Michael Ulmer, Oktober 2018