Ein Poltern erschütterte die Tür. Meine Mutter und ich sahen uns erschrocken an.

«Im Namen des Kaiser, öffnet die Tür!», brüllte eine männliche Stimme.

Seit bekannt war, dass die kaiserliche Armee auf ihrer Rückreise zur Hauptstadt durch unser abgelegenes Dorf kam, war meine Mutter nervös. Ich begriff Ihre Unruhe nicht recht, denn Soldaten waren doch nur Männer. Als Witwe stellten ihr eifrige Nachbarinnen immer wieder Männer vor, die meine Mutter dann notgedrungen zum Tee einlud. Keiner davon war jedoch je wieder aufgetaucht.

«Wir können so tun, als seien wir nicht hier», wisperte ich.

«Das geht nicht, Kleines», widersprach meine Mutter. «Sie haben den Rauch aus dem Kamin steigen sehen. Sie wissen, dass wir hier sind. Wir werden Sie hineinbitten, ihnen Tee servieren und sie dann ihres Weges ziehen lassen.» Sie strich mir zart über die Wange, stand dann auf und schritt mit gestrafften Schultern auf die Tür zu.

Sie trug ein zweckdienliches Kleid aus einfacher Baumwolle, das die Farbe von blühendem Flieder hatte. Nur der Kragen war weiss und gab sie als Witwe aus. Der weit fallende Rock war mit kleinen Blüten bestickt und das Obergewand mit verspielten Wolken verziert. Ihr Haar hatte sie zu einem simplen Knoten gedreht. Schminke trug sie keine, da wir uns ja Zuhause befanden. Trotzdem fand ich, dass sie wunderschön aussah.

Als sie die Tür öffnete und in eine tiefe Verbeugung sank, folgte ich ihrem Beispiel. «Edle Soldaten, dies ist ein bescheidenes Heim, doch wir bewirten euch gerne», erklärte sie und machte immer noch gebückt einige Schritte zur Seite, sodass die Männer eintreten konnten.

Sie stanken nach Schweiss, Pferden und ranzigem Öl.

«Erheb dich Frau!», befahl der vorderste Soldat barsch. «Wir sind weit gereist und durstig, bring uns Wein und etwas zu essen!»

«Leider habe ich keinen Wein, ehrenwerter Herr. Ich kann Euch aber Jasmin-Tee anbieten. Wir ernten ihn selbst von den Sträuchern, die schon seit Generationen im Familienbesitz sind. Man sagt dem Tee nach, dass er magische Kräfte hat.»

«Pff, Tee!», schnaubte der Hauptmann. Als ich mich wieder aufrichtete,  erkannte ich, dass er struppige schwarze Haare und einen ungepflegten Bart hatte. Seine vier Männer hinter ihm sahen ähnlich verwahrlost aus. Ihre Rüstungen starrten vor Dreck. Obwohl es in höchstem Maße unanständig war, zogen die Männer ihre Schuhe nicht aus, sondern schritten zum niedrigen, rechteckigen Tisch. Die Abdrücke ihrer Füße waren auf dem polierten Holzboden deutlich zu sehen.

Meine Mutter schloss eilig die Tür. Dann kam sie zu mir hinüber, berührte mich leicht an der Schulter und bat mich: «Setzt du bitte das Wasser auf und bringst den Herren den Tee und Gebäck?

Ich nickte steif. Der Hauptmann hatte sich vorgebeugt, um an meiner Mutter vorbeizublicken. «Und wer bist du, kleine Lotusblüte?»

«Dies ist Mai», stellte mich meine Mutter vor. Rasch erhob sie sich und verdeckte mich halb.

«Und wie alt bist du Mai?», fragte der Hauptmann.

«Sie ist acht», sagte meine Mutter schnell.

Verwundert sah ich sie an. Ich war bereits zehn. Warum log sie die Männer an?

«Husch, geh und bereite den Tee vor!», holte sie mich aus den Gedanken und gab mir einen aufmunternden Schubs in den angrenzenden Raum. Während ich das Wasser aufsetzte und den seidenen Sack mit dem Tee vom Regal nahm, versuchte ich das Gespräch zu belauschen. Doch wegen des knisternden Feuers verstand ich nur ab und zu einige Wortfetzen. Als die Männer rau auflachten schauderte ich. Ungeduldig sah ich auf das Wasser. Mir gefiel es nicht, meine Mutter so lange alleine zu lassen. Ob ich den Tee bereits an den Tisch bringen sollte?

Aber meine Mutter würde es sicher nicht gutheissen, wenn ich von den Abfolgen der traditionellen Teezubereitung abwich. Sie sagte immer wieder, dass Tee Trinken eine heilige Angelegenheit sei. Also schluckte ich meine Unruhe hinunter, reihte die Teebecher aus Porzellan auf und griff in den Sack um eine Handvoll Teeperlen zwischen den Fingern zu rollen. Dies aktivierte die getrockneten Blätter und war das Geheimnis unseres Familienrezepts.

Ein Schrei erklang vom anderen Raum her. Ich erstarrte, lauschte, das Herz bis zum Hals pochend.

Als Poltern von nebenan drang, stürzte ich los, ohne zu bedenken was ich tat. Die Hände zu Fäusten geballt, platzte ich in den Raum. Der Hauptmann hatte meine Mutter mit der einen Hand auf den Tisch gedrückt und grabschte mit der anderen nach der eng anliegenden Schärpe.

Heiße Wut durchfuhr mich. Sie ging von meiner Hand mit dem Tee aus und raste wie flüssiges Feuer meine Hand herauf. Von dort breitete sie sich in meinem ganzen Körper aus. Ich ließ ein tiefes Grollen ertönen. Die Männer sahen sich erstaunt zu mir um. Auf ihren Gesichtern zeichnete sich Entsetzen ab, als sie mich sahen. Von mir wegstolpernd grabschten sie nach ihren Schwertern. Ich machte einen weiteren Schritt in den Raum hinein. Krallen kratzen über das Holz und Schuppen glänzten, als ich meinen geschmeidigen Körper bewegte. Ich schüttelte den Kopf und meine mächtige Mähne. Als ich den Mund öffnete, schmeckte ich die Angst der Männer bitter auf meiner Zunge.

«Verlasst sofort dieses Haus!», brüllte ich mit so mächtiger Stimme, dass die Dachbalken ächzten. Wie eine verschreckte Hühnerschar nahmen die Soldaten Reißaus. Mit einem schnellen Blick vergewisserte ich mich, dass meine Mutter in Ordnung war. Dann schlängelte ich meinen langen Leib am Tisch vorbei und auf die Veranda heraus. Als mich die Pferde der Soldaten sahen, sprengten sie wiehernd davon. Im Freien, streckte und reckte mich und entfaltete genüsslich meine Flügel. Wind liebkoste sie und rief mich zu sich in den Himmel. Ich folgte dem Ruf und genoss die warme Sonne auf meinem beschuppten Körper, während ich freudig Kreise am Firmament zog. Winzige schwarze Punkte am Boden zogen meine Aufmerksamkeit jedoch schnell wieder auf sich. Die Wut auf sie verdichtete sich in meinem Bauch und stieg mir heiss in den Rachen. Zeit um auf die Jagd zu gehen.

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