Der Wind rauschte durch das Geäst der alten Eiche und liess das Holz ächzen und stöhnen. Dunkle, nasse Wolken zogen über den verwaschenen Himmel, wie Kriegsschiffe, die eifrig in die Schlacht zogen. Donner grollte von irgendwo her, doch noch fiel kein Regen. Der Junge starrte auf seine Schuhspitzen. Ein dicker Kloss steckte in seinem Hals und machte ihm das Schlucken zur Qual. Er schniefte.

Dicht neben seinem Ohr erklang ein derbes Lachen. Schnurrbarthaare kitzelten über seine hölzerne Haut. «Findest du nicht, dass es ein wenig spät ist, um Reue zu zeigen?», schnurrte die Katze. «Du wurdest gewarnt, dass dein Verhalten Konsequenzen hat – sogar von mehreren Leuten. Und wie hast du es ihnen gedankt? Du hast sie hintergangen! Jedes Mal, wenn du vor einer Kreuzung standest und eine Entscheidung treffen musstest, hast du die falsche getroffen. Du hast nur an dich selbst gedacht. Dieser Egoismus hat dich schlussendlich hierhin gebracht.»

Die Katze nahm die Arme des Jungen und band sie hinter dessem Rücken zusammen. Nun trat der Fuchs zu ihm. In den Händen hielt er ein dickes Hanfseil. Vor seinen Augen knüpfte der Fuchs das Seil geschickt zu einer Schlinge. Wie hypnotisiert beobachtete der Junge ihn dabei.  Erst als der Fuchs fertig war, schluchzte er leise:  «Ich bin doch nur ein kleiner Junge. Ich habe alle meine Streiche nicht böse gemeint und das mit der Grille war ein Unfall. Ich hatte nicht auf sie gezielt».

«Aber du hast einen Hammer nach ihr geworfen. Und warum? Weil sie Dinge sagte, die dir unangenehm waren?», säuselte die Katze.

«Nein, nicht deswegen. Es war einfach nur Spass. Ich habe mir nichts dabei gedacht.»

«Genau das ist dein Problem. Dein Handeln beeinflusst andere Menschen! Das wurde dir immer und immer wieder gesagt und trotzdem verhältst du dich weiterhin rücksichtslos und störrisch. «, knurrte der Fuchs. «Meister Katze und ich sind beide der Meinung, dass du diese Gewohnheit nicht ablegen kannst. Deswegen wirst du jetzt bestraft.»

«Wenn ihr mich bestrafen wollt, dann bestraft mich», heulte der Junge. Ein störrischer Unterton schlich sich in seine Stimme. «Aber ihr wollt mich erhängen. Das ist kaltblütiger Mord, nichts anderes!»

Fast schon zärtlich legte der Fuchs ihm die fertige Schlinge um den Hals und zog sie an. «Du kannst schreien und flennen so viel du willst. Hier draussen auf dem Feld hört dich niemand», erklärte er grinsend und zeigte dabei seine spitzen Zähne.

Der Junge wusste, dass der Fuchs recht hatte. Die Eiche stand auf einem Fleckchen Gras. Ringsum lagen brach liegende Felder, die die Bauern im Frühling frisch beackern würden. Die Stadt ruhte so dicht am Horizont, dass sie nur noch als dunkler Schemen erkennbar war.

Resigniert liess der Junge den Kopf hängen.

«Dein Leben war ein unerwartetes Geschenk», erinnerte ihn die Katze. «Du solltest ein Segen für den alten Geppetto sein. Stattdessen hast du ihm nur Kummer gebracht.»

«Genau. Er wird froh sein, von dir erlöst zu sein», fügte der Fuchs hinzu.

Eine einzelne Träne rann dem Jungen über die Wange. «Es tut mir leid, Vater», nuschelte er während der Fuchs am anderen Ende des Taus zu ziehen begann. Zwei Ellen Seil musste er einholen, bevor es sich zu straffen begann. Der Junge spürte die Schlinge enger werden. Weil ihm die Hände auf den Rücken gebunden waren, konnte er nichts anderes tun, als wie ein Fisch an der Angel zu zappeln. Drei Ellen mehr und seine Fersen hoben sich an. Lachend liess der Fuchs ihn auf den Zehnspitzen balancieren, ehe er ihn weiter hochzog.

Der Nordwind frischte wieder auf und ließ den armen Jungen wild hin und her schwingen. Der Atem blieb ihm in der Brust gefangen. Seine Lungen flatterten wie Schmetterlinge, anfangs panisch, dann immer langsamer, bis sie schliesslich nur noch schwach zitterten. Er öffnete den Mund, streckte seine Beine, wurde von einem letzten Zittern erfasst und hing schliesslich leblos da.

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Inspiriert durch: La storia di un burattino

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